Während des Amoklaufs in München erlebten die Besucher der nahegelegenen Evangelisch-methodistischen Erlöserkirche Angst – und göttliche Ruhe. Eine Reportage von Volker Kiemle
Von PRO
Foto: EmK
In diesem Gottesdienstraum fanden Menschen Schutz, als ein Amokläufer am Freitag 9 Menschen und sich selbst tötete
Als die Schüsse im Olympia-Einkaufszentrum fallen, halten im Garten der nahegelegenen EmK-Erlöserkirche die Wesley-Scouts (die Pfadfinder der Evangelisch-methodistischen Kirche , d. Red.) ihre Gruppenstunde ab. „Man hätte es auch für Silvester-Böller halten können, wären nicht Sekunden später Menschen panisch die Straße entlang gerannt”, berichtet Gemeindeglied Alexander Badstübner. „Sie schlugen sich durch die Büsche und kletterten samt Hund und Fahrrad ins Nachbargrundstück.” Schnell ist klar, dass geschossen wurde. Die jugendlichen Mitarbeiter der Wesley-Scouts reagieren sofort und bringen die Kinder ins Gebäude, alle versammeln sich im Gemeindesaal. Auch einige Menschen, die sich aus dem Einkaufszentrum in Sicherheit gebracht hatten, finden Zuflucht.
Die Rollos werden heruntergelassen, während draußen schon die Polizeisirenen heulen. „Angst machte sich unter Kindern und Erwachsenen breit”, erzählt Badstübner. Die Jugendreferentin lädt zum Gebet ein. „Und dann breitete sich langsam ein Friede aus, der einen heiligen Raum um unser Gebäude entstehen ließ.”
Der Lobpreis-Leiter der Jugendband greift zur Gitarre. Jung und Alt stimmen nach und nach mit ein. „So wurde aus angstvollem Schluchzen ein Lied zu Gottes Ehre”, sagt Badstübner. Musik und Gesang helfen, zur Ruhe zu kommen. Getränke, die für den Jugendgottesdienst schon bereitstanden, werden angeboten.
Gemeindesaal nimmt Evakuierte auf
Dann kommt von der Polizei, mit der ein Gemeindemitarbeiter in Kontakt steht, die Empfehlung, die Kellerräume aufzusuchen und sich von Fenstern fern zu halten. Alle eilen in die Kellerräume, die von außen nicht einzusehen sind. Das Küchenteam bringt Teller und Essen mit nach unten, und so gibt es ein reichhaltiges Buffet. „Gott deckte uns den Tisch und schenkte uns voll ein. Sein Geist ermächtigte Mitarbeiter, immer wieder ermutigende Lieder anzustimmen, die halfen, die Angst der Kinder zu vertreiben”, erzählt Badstübner. Die Menschen aus dem Einkaufszentrum, die noch da sind, werden von den Kindern ermutigt und mit Getränken versorgt.
Eine Weile später dann wieder leichte Entwarnung. Die Menschen dürfen wieder nach oben, sollen aber das Gebäude noch nicht verlassen. Der öffentliche Nahverkehr in München ist komplett eingestellt worden, auch Taxis fahren nicht mehr. Der Bereich um das Einkaufszentrum ist inzwischen hermetisch abgeriegelt. Dann fährt ein Polizeiauto vor, ein Mitarbeiter des Kriseninterventionsteams fragt an, ob das Gemeindezentrum als Auffangstelle für die aus dem Einkaufszentrum evakuierten Menschen zur Verfügung stehen kann, da das bis dahin genutzte Schnellrestaurant ein paar Straßen weiter hoffnungslos überfüllt ist. 150 Personen sollen hergebracht und dort betreut werden. „Wir sagten bereitwillig zu, hatte Gott doch schon für uns gesorgt und uns optimal dafür vorbereitet”, sagt Badstübner.
Sofort beginnt der Umbau des Gemeindesaales, um Ankommende mit Essen und Getränken zu versorgen, die bereits gelagert waren, weil in einer Woche das Zeltlager beginnen sollte. Suppe wurde gekocht, Kuchen aufgeschnitten und Obst bereitgestellt. Die Kinder wurden inzwischen ins Bett gebracht, nachdem sie mit ihren Eltern telefoniert hatten und klar war, dass es erst am Morgen möglich sein würde, sie abzuholen.
Weil die Kirche noch nicht als gesicherte Zone gilt, kommen statt der Menschen aus dem Einkaufszentrum Polizisten und Sanitäter, um sich zu stärken und zu erfrischen. Nach und nach beruhigt sich die Lage, manche Gäste und Mitarbeiter machen sich auf den Heimweg, während andere noch über Nacht bleiben und auf dem Lager in der Sporthalle etwas Schlaf suchen.
Gottesdienst: Jesus hat die Welt überwunden
„Wir haben Gott erlebt in einem starken Team, das sich nach Kräften eingesetzt hat und durch die Verbindung zu Gott nicht müde wurde, das zu tun was nötig war”, sagt Badstübner. „Dankbar und staunend sehen wir Gottes Vorausschau, uns zu versorgen in Fülle und uns zum Licht zu setzen in einer Welt, die in Angst und Fassungslosigkeit erstarrt.”
Am Morgen danach hat die Freiwillig-Soziale Helferin der Gemeinde spontan ein Trauer-Gesteck gestaltet und ein Buch aufgelegt, in das die aufgewühlten Menschen ihre Ängste und Wünsche niederschreiben konnten. Es liegt unter dem Kreuz vor der Kirche, wo die Gemeinde am Samstag die Erfahrung der Rettung am Kreuz vor der Kirche feierte. „Morgen im Gottesdienst werden wir um 10 Uhr daran anknüpfen”, schreibt Pastor Friedemann Burkhardt auf der Facebook-Seite der Gemeinde. Der Gottesdienst war schon länger als Tauf- und Aufnahmegottesdienst geplant und steht unter dem Wort aus Johannes 16,33 „In der Welt habt ihr Angst; aber seid getrost, ich habe die Welt überwunden”. (pro)
Dieser Beitrag des Journalisten Volker Kiemle erschien zuerst auf der Webseite der Evangelisch-methodistischen Kirche Deutschlands (EmK).
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