Vorschlag der Grünen verkennt Menschenrechte

Die Grünen denken laut darüber nach, Sex für Behinderte zur ärztlichen Kassenleistung zu machen. Das zeugt von einem falschen Menschenrechtsverständnis. Und mangelnder Sachkennntnis zur Lage der Prostitution in Deutschland. Ein Kommentar von Anna Lutz
Von Anna Lutz
Die Krankenkassen sollen den Sex Behinderter mit Prostituierten bezahlen. Zumindest, wenn es nach den Grünen geht.

Die pflegepolitische Sprecherin der Grünen im Bundestag, Elisabeth Scharfenberg, hält laut Bild am Sonntag eine „Finanzierung für Sexualassistenz“ nach niederländischem Vorbild für vorstellbar. Heißt: Die Krankenkassen sollen es Pflegebedürftigen und Schwerkranken bezahlen, wenn sie zum Beispiel den Dienst einer Prostituierten in Anspruch nehmen.

Scharfenberg ist nicht die erste, die sich eine solche Regelung in Deutschland wünscht. Auch die Organisation „pro familia“ wirbt schon lange für den Sex auf Rezept. Dabei missachten solche Forderungen nicht nur die breite und völlig gegenläufige Debatte über ein Prostitutionsverbot, die hierzulande vor drei Jahren geführt wurde – ausgelöst nicht etwa durch konservative Christen oder die CSU, sondern von der Frauenrechtlerin Alice Schwarzer. Sie zeugen auch von einem gefährlichen Unverständnis der Lage vieler Prostitutierter und einer höchst fraglichen Auslegung der sogenannten sexuellen und reproduktiven Rechte.

Demütigender Weg zum Sex

Ein Blick in die Niederlande schärft die Sicht: Tatsächlich wird die sogenannnte Sexualassistenz dort bezuschusst, und zwar von den Kommunen. Diese entscheiden laut einer Publikation von „pro familia“ selbst darüber, welchen Frauen und Männern mit Behinderung diese Leistung zusteht. Wer sie in Anspruch nehmen will, muss nicht nur nachweisen, dass er finanziell nicht in der Lage ist, selbst eine Prostituierte zu bezahlen. Er muss auch darlegen, dass seine Behinderung der Hauptgrund dafür ist, dass er seine sexuellen Bedürfnisse nicht auf anderem Wege befriedigen kann. Ein demütigender Gang durch die Bürokratie liegt also vor jenen, die Geld sparen wollen. Nur die wenigsten dürften ihn antreten. Frauen gehen ihn im übrigen so gut wie nie: 96 Prozent der Klienten, die Sexualassistenz in Anspruch nehmen, sind männlich.

Vermittelt werden die Prostituierten durch Sozialarbeiter, sie selbst sollen Kenntnisse im Umgang mit Behinderten haben. Die Idee einer Zertifizierung liegt auch dem Vorschlag der Grünen zugrunde. Spätestens hier stößt der Ansatz auf Probleme. Nur die wenigsten Prostituierten sind in Deutschland organisiert, auch wenn Lobbyorganisationen wie die Prostituiertenvertretung „Hydra“ einen anderen Anschein erwecken wollen. Die deutsche Realität ist nach wie vor geprägt von Zwangsprostitution, Prostitution durch Minderjährige und Drogenprostitution. Qualität anhand von Zertifikaten in einem Bereich zu messen, der sich zu 98 Prozent in einer Grauzone, oft an der Grenze zur Illegalität und nicht selten auch jenseits dessen bewegt, ist schwer vorstellbar.

Prostitution widerspricht der Menschenwürde

Dabei berufen sich jene, die Sexualassistenz befürworten, ausgerechnet auf die Menschenrechte. Tatsächlich hat die UNO 1994 formuliert, dass jedem Menschen die gleichen „reproduktiven und sexuellen Rechte” zustehen. Daraus ist aber eindeutig kein Recht auf Sex mit einem Mann oder einer Frau abzuleiten. Das Gegenteil ist der Fall. Denn die Idee der sexuellen Selbstbestimmung beruht darauf, dass alle sexuellen Handlungen freiwillig sein müssen. Damit schützt sie vor allem Frauen davor, aufgrund ihres Geschlechts diskriminiert oder zu sexuellen Handlungen gezwungen zu werden. Wie dies mit dem Beschäftigen von Prostituierten in Einklang zu bringen ist, müsste die Grüne Elisabeth Scharfenberg genauer ausführen. Wer die Szene kennt, weiß: Vergewaltigungen und Misshandlungen erleben die meisten Frauen auf dem Strich oder in Bordellen nicht nur einmal in ihrem Berufsleben. Und nur von dem Engagement durch Pflegebedürftige wird wohl keine Prostituierte leben können. (pro)

Von: al

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