Von unheiligen Zipfelmännern und scheinheiligen Weihnachtsmännern

Lasst uns der eisheiligen Scheinheiligkeit absagen, wenigstens in der festreichen Zeit. Die Heiligkeit Gottes ist nur da, wo Jesus ist. Sonst nirgends. Eine Kolumne von Jürgen Mette
Von Jürgen Mette
Der Theologe Jürgen Mette leitete viele Jahre die Stiftung Marburger Medien. 2013 veröffentlichte er das Buch „Alles außer Mikado – Leben trotz Parkinson“, das es auf die Spiegel-Bestsellerliste schaffte.

„Denen ist auch nichts mehr heilig!“, beschwerte sich Gotthilf Bleibetreu über die Süßwarenindustrie, die Schokoladen-Weihnachtsmänner durch sogenannte Zipfelmänner ersetzt hat. „Wo leben wir denn? Wo bleibt der Aufschrei der Kirchen?“ Er erwäge die Gründung eines Netzwerkes zur Erhaltung des christlichen Weihnachtsbrauchtums und fordert den Boykott von Penny und anderen Verrätern des christlichen Abendlandes.

Auch Uta-Constanze Gwschender-Linkenheim echauffierte sich lauthals über die Verwendung des Begriffs „Zipfel“, der nur aus dem Hirn „triebgesteuerter Zuckerbäcker“ stammen könne. Sie rief die Nahrungsmittelkonzerne auf, die Produktion von Zipfelmännern sofort einzustellen, die Lagerbestände zeitnahe einzuschmelzen und einer nichtreligiösen und geschlechtsneutralen Produktion von Schoko-Figuren zuzuführen, die man ohne jeden christlich-patriarchalischen Bezug zum Beispiel einem transsexuellen Muslim ohne Angst überreichen könne. Worauf Adolf Hartmann von der „Selbsthilfegruppe sauberes Vaterland“ vorschlug, man könne mit den Lagerbeständen Abschiebekandidaten und Scheinasylanten den Rückflug versüßen.

Eisheiliger, scheinheiliger und unheiliger geht es kaum noch.

Ich habe letztes Jahr meinem atheistischen Freund ein ideologisch nicht vorbelastetes Gewächs aus der Gruppe der Nadelgehölze frei Haus geliefert, und zwar aus meinem eigenen Baumbestand. Ein Lichterbaum zur dunklen Jahreszeit. Nein, kein Christbaum, keine geweihte serbische Fichte. Hab ich damit den christlichen Glauben verleugnet?

Mitnichten. Heilig ist nur Christus! Alles andere ist folkloristisches Beiwerk und nur scheinbar heilig, also scheinheilig: romantisch, nostalgisch, gemütlich, eine wertestiftende Tradition voller herzbewegender Symbolik. Ich liebe das heidnische Beiwerk des Christfestes.

Es waren die Römer, die zum Jahreswechsel ihre Häuser mit Lorbeerzweigen schmückten. Durch das Behängen eines Baums mit Klitzerkram zur Wintersonnenwende wurde im Mithras-Kult der Sonnengott verehrt. Auch nördlich der Alpen wurden im Winter schon früh Tannenzweige ins Haus gehängt, um bösen Geistern das Machwerk zu erschweren, gleichzeitig gab das Grün Hoffnung auf die Wiederkehr des Frühlings. Und für den Weihnachtsmann mit Gabensack und Rute gibt es viele mehr oder weniger schlüssige Begründungen, nur keine biblisch-christliche. Schlimmer noch: das heimelig schaurige Motiv eines bärtigen Geschenkeonkels, der gleichzeitig die Unartigen einer Körperstrafe unterzieht, hat das biblische Gottesbild vieler Zeitgenossen nachhaltig beeinflusst und für immer beschädigt, wo nämlich die Guten belohnt und die Bösen bestraft werden. Und das nicht nur Weihnachtzeit.

Natürlich kann man Geschäfte boykottieren, die ideologisch neutrale Zipfelmänner im verdächtigen Regenbogendesign verpackt feilbieten. Selbstverständlich kann man auch vor Warenhäuser warnen, die aus Gründen politischer Korrektheit Kreuzsymbole von den Verpackungen verbannt haben und Halloween-Kostüme anbieten. Man kann auch aus Protest auf den Kauf eines Volkswagens verzichten, weil der Konzern seine Kunden getäuscht hat. Ich breche hier ab, die Liste würde zu lang.

Glyphosat ist uns sowas von egal. Warum eigentlich?

Da bleibt nur die Frage, warum uns zum Beispiel die Zulassung vom artenzerstörenden Glyphosat sowas von egal ist. Das müsste uns als Bekenner der Schöpfung doch auf die Straße treiben. Aber diese Drecksarbeit überlassen wir lieber Greenpeace. Seltsam auch, dass uns das Thema „Paradise-Papers“ so kalt lässt. Da entgehen Deutschland im Jahr 17 Milliarden Steuereinnahmen und wir schweigen dazu. Es gab hier zu viel Habgier.

Lasst uns der eisheiligen Scheinheiligkeit absagen, wenigstens in dieser festreichen Zeit. Kanada ist auch nicht untergegangen, nur weil es als typisches Einwanderungsland die christlichen Feiertage und den islamischen Ramadan zu religionsneutralen „Holy Days“ umfirmiert hat. Viel wichtiger als das Etikett ist der Inhalt, unser fröhliches und un-verschämtes Zeugnis von Jesus Christus.

Heilig an Weihnachten ist weder „das traute hochheilige Paar“, die Nordmanntanne und die Weihnachtsgans, noch Knecht Ruprecht, die Krippe und der Heilige Abend. Man kann sich saisonal für den Erhalt des liebgewordenen Brauchtums einsetzen, weil wir uns unserer christlichen Kultur keinesfalls schämen, aber einen Bekenntnisnotstand kann ich darin nicht erkennen.

Es geht um das Kind in der Krippe, nicht um die Krippe!

Wo Jesus ist, da ist die Heiligkeit Gottes. Sonst nirgends.

Für den Marburger Theologen und Religionswissenschaftler Rudolf Otto (1869–1937) war das angemessene Gefühl angesichts des Heiligen eine Mischung aus Faszination und ehrfürchtigem Erschaudern. Wer das erlebt, eine alle Vernunft überwältigende Erfahrung der Demut, der eigenen Bedeutungslosigkeit im Angesicht Gottes, der bekommt einen Vorgeschmack auf das Kommende und den Kommenden.

Eine heilige, von Gott dem Kommerz und den empörten Palaver entrissene und für uns beschlagnahmte Adventszeit. Eine heilige Zubereitung auf den Heiligen wünscht Jürgen Mette

Von: Jürgen Mette

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