Von christlichen Apachen und gläubigen Hadschis

Winnetou stirbt als Christ. Hadschi Halef Omar kommt zum Glauben, obwohl er seinen Herrn Kara Ben Nemsi eigentlich zum Islam bekehren will. Religion ist ein immer wiederkehrendes Motiv in den Romanen von Karl May. Toleranz und Respekt sind dabei zentrale Werte, die der Schriftsteller vermittelt. Das zeigt eine neue Publikation der Evangelischen Zentralstelle für Weltanschauungsfragen (EZW).
Von PRO

Sowohl im Orient als auch im "Wilden Westen" finden verschiedene Figuren aus Karl Mays Erzählungen zum christlichen Glauben – nicht zuletzt durch das Zeugnis von Old Shatterhand oder Kara Ben Nemsi, den Alter Ego des Schriftstellers. Anhand der verschiedenen "Bekehrungserlebnisse" untersucht Heiko Ehrhardt, Mitherausgeber des EZW-Heftes, in seinem Beitrag, welche Rolle das Christliche im Leben und Werk Karl Mays spielt. "Auch wenn Mission geschieht […] – über allem steht eine gelebte und praktizierte Toleranz", stellt Ehrhardt fest. Kara Ben Nemsi, wie sich May als Ich-Erzähler in den Orient-Geschichten nennt, und sein muslimischer Diener und Freund Hadschi Halef Omar versuchten, sich jeweils gegenseitig zu bekehren. Letztendlich hätten aber die tolerante Haltung und die Güte des Deutschen den Hadschi überzeugt. Entscheidend sei bei May die gelebte Tat, nicht das gepredigte Wort. Mission geschehe durch das Vorbild des gelebten Glaubens, so Ehrhardt über Mays Glaubens-Verständnis.

Das sei auch bei den Abenteuern im Wilden Westen zu beobachten, bei denen unter anderem der Apachen-Häuptling Winnetou zum Glauben kommt. Old Shatterhand erkläre seinem Blutsbruder zwar, was er glaubt, respektiere aber auch dessen Bitte, ihn nicht zu bekehren. Bisher habe der nämlich nur Christen getroffen, die ihren Glauben nicht praktizierten. Kurz vor seinem Tod wird Winnetou doch noch Christ – für Ehrhardt auch eine Folge daraus, dass sich Wort und Tat Old Shatterhands entsprechen. Selbst einige Bösewichte in Mays Romanen hätten in der Regel die Möglichkeit, vor ihrem Tod die Gnade Gottes anzunehmen, die sie aber verweigerten. Dabei werde die Frage gestellt, ob nicht Gottes Gnade größer sein könne als menschliche Schuld. Ehrhardt sieht darin und in Verbindung mit Mays späteren Werken Ansätze einer Art kosmischer Allversöhnungslehre.

Hoffnung auf Gnade

"Gott, Jesus Christus, die Gebote, einzelne Topoi der Bergpredigt, der Bezug auf Bibelstellen, Bekehrungen, ja sogar Choräle und Anklänge an christliche Riten kommen in einer Häufung vor, dass man sie nicht einfach übergehen kann", meint Ehrhardt über Mays Werk. Doch war dieser dadurch ein christlicher Autor oder lieferte er nur, was das Publikum von ihm erwartete? Und wie ist das mit seiner Biografie zu vereinbaren – den Betrügereien, spiritistischen Sitzungen, dem Ehekrieg mit seiner ersten Frau? Ehrhardt verweist auf ein Glaubensbekenntnis, was May am Ende seines Lebens formulierte und kommt zu dem Schluss, "dass der christliche Glaube für Karl May zentral wichtig war". Vielleicht, so meint er, schrieb der sächsische Schriftsteller von der Gnade, "auf die er von Herzen für sein Leben hoffte".

In seiner Darstellung der orientalischen Völker greife Karl May viele zu seiner Zeit gängige Vorurteile auf. Damit bestätige er die Erwartungen seiner Leser und mache seine Erzählungen glaubwürdiger, wie Svenja Bach im EZW-Band schreibt. Daraus ergebe sich eine "Hierarchie der Völker", die aber weniger aus ihrer Religion denn aus nationalen Stereotypen abgeleitet werde. Muslimische Figuren würden zwar tendenziell schlechter dargestellt als Christen. Aber negative Äußerungen gegenüber Christen fielen dagegen viel drastischer aus: "Da die Christen aufgrund ihres Glaubens zwischen richtig und falsch unterscheiden können müssen, sind ihre schlechten Taten aus Mays Sicht strenger zu bewerten", so die Germanistin Bach. Kara Ben Nemsi bewerte die Taten der muslimischen Charaktere meist so, "als wüssten sie es aufgrund ihrer Herkunft und Lebensweise einfach nicht besser". Der Islam diene May vor allem zur Abgrenzung von der eigenen christlichen Kultur, mit der sich auch seine Leser identifizierten.

Die Vorstellung, das Christentum sei anderen Religionen überlegen, gebe es in Karl Mays Spätwerk nicht mehr. Zu dieser Erkenntnis kommen der Historiker Peter Thaddäus Lang und der Theologe Bernhard Lang in ihrem Beitrag. Mays Roman "Und Friede auf Erden" kritisiere die herkömmliche Missionstätigkeit und den Eifer, Menschen zum christlichen Glauben bekehren zu wollen. "An die Stelle der aufdringlichen Mission tritt das unaufdringliche Zeugnis christlicher Liebe", so die EZW-Autoren. Darin sei die "reife Weltauffassung" Mays zu erkennen.

Insgesamt zehn Beiträge des EZW-Bandes beschäftigen sich mit verschiedenen religiösen Aspekten im Werk Karl Mays, der vor 100 Jahren starb. Diese werden immer wieder in seine Biografie und in die historischen Zusammenhänge eingeordnet. Die Texte haben wissenschaftlichen Charakter, sind aber auch für Laien gut nachvollziehbar. Vor allem wer schon einmal die Abenteuer von Old Shatterhand oder Kara Ben Nemsi gelesen hat, bekommt hier einen erhellenden Blick hinter die Geschichten. (pro)

Heiko Ehrhardt/Friedmann Eißler (Hg.): "’Winnetou ist ein Christ‘. Karl May und die Religion", 192 Seiten, 5,00 Euro Spende, Evangelische Zentralstelle für Weltanschauungsfragen, EZW-Texte 220, http://www.ekd.de/ezw/

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