Vom Segen der Corona-Pandemie

Die halbe Welt ist in einer Corona-Ausnahmesituation. Manche können der Pandemie auch gute Seiten abgewinnen, wie pro-Kolumnist Jürgen Mette. Er teilt seine persönlichen Erfahrungen.
Von PRO
Der Theologe Jürgen Mette leitete viele Jahre die Stiftung Marburger Medien. 2013 veröffentlichte er das Buch „Alles außer Mikado – Leben trotz Parkinson“, das es auf die Spiegel-Bestsellerliste schaffte. Für pro schreibt er eine regelmäßige Kolumne.

Vorab bitte ich um Entschuldigung für den verwegen klingenden Titel meines Beitrages. Ich weiß um viele Menschen, die vor der privaten oder geschäftlichen Insolvenz stehen. Mir ist auch bewusst, dass ich als Hausbesitzer und Ruheständler nicht das Maß aller Dinge bin.

Zwei Fragen sind es, die uns in diesen Tagen umtreiben: Werde ich persönlich und meine Lieben die Krise überleben? Und: Wie lange müssen wir in der häuslichen Isolation bleiben? Dabei ist der Alltag bis jetzt noch ziemlich komfortabel: Wir haben frische Luft zum Atmen, wir haben sauberes Wasser und eine funktionierende Müll- und Abwasserentsorgung, wir haben genug zu Essen, wir haben ein Dach über dem Kopf und eine funktionierende Heizung, wir können mit der Außenwelt kommunizieren, die Telefonie und digitale Kommunikation funktionieren. Mehr als die Hälfte der Weltbevölkerung kann von diesem Lebenskomfort nur träumen.

Und wir haben Zeit. Zeit zum Lesen, Zeit zum Sortieren, Zeit für all das, was wir immer vor uns her geschoben haben. Auf einmal gewinnt das Gespräch mit den Nachbarn über den Gartenzaun eine ganz neue Bedeutung von Gemeinschaft, zwar auf räumlicher Distanz, aber doch herzlicher als je zuvor. So haben wir uns am Sonntagabend auf den Terrassen und Balkonen der Nachbarschaft getroffen und mit einander der „Mond ist aufgegangen“ gesungen. Bei der Strophe „Verschon uns, Gott, mit Strafen und lass uns ruhig schlafen und unsern kranken Nachbarn auch“ musste ich kurz mit den Tränen kämpfen. Aber ich war der Vorsänger und musste tapfer bleiben.

Gute-Nacht-Geschichte per Skype

Als unsere Kinder noch klein waren, habe ich ihnen eine frei erfundene Endlosgeschichte erzählt. Ich hatte damals versäumt, ein Diktiergerät mitlaufen zu lassen oder mir Notizen zu machen. Als unsere Enkel heranwuchsen, fragte mich eines Tages einer meiner Söhne nach dem schriftlichen Manuskript der Geschichtenserie von vor 25 Jahren. Da musste ich passen. Aber jetzt bietet die moderne Kommunikationstechnik mir die Möglichkeit, unseren sechs Enkelkindern an zwei unterschiedlichen Wohnorten jeden Abend eine Gute-Nacht-Geschichte zu erzählen.

Die Geschichte spielt, wie damals, als ich sie unseren Söhnen erzählte, im Oberallgäu. Hauptdarsteller ist ein Hirtenjunge, der am Ende des Oberstdorfer Oytals eine große Viehherde zu hüten hat. Mehr wird nicht verraten. Zum Schluss singen wir ein Abendlied und ich bete für eine bewahrte Nacht und ein gesundes Aufstehen am nächsten Tag. Mal sehen, wie lange die Enkelkinder und ich das durchhalten.

So gewinnen wir der Pandemie noch etwas Gutes ab. Uns wird bewusst, wie kostbar Gemeinschaft ist, sich zu besuchen und gegenseitig einzuladen, sich zu berühren, auf Augenhöhe zu begegnen, sich zu umarmen. Wir sind zur Gemeinschaft geschaffen. Und wir beten darum, dass das bald wieder ohne Limit möglich sein wird.

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