Vom Anti-Alkoholprogramm zur Unternehmenspleite

Es lebte einst im 19. Jahrhundert im kleinen Örtchen Melbourne in der Mitte Englands ein Junge, der drei Jahre alt war, als sein Vater starb. Mit zehn Jahren musste er von der Schule abgehen, um seine Mutter und die beiden Stiefbrüder durchzubringen. Er fing eine Tischlerlehre in einer Werkstatt an, in der beide Chefs Alkoholiker waren, und er häufig deren Arbeit mitübernehmen musste. Der Mann wurde später zu einem tatkräftigen Gegner des Alkohols.
Von Jörn Schumacher
Am Bahnhof von Leicester in England erinnert noch heute eine Statue an die erste organisierte Pauschalreise, durchgeführt vom Baptistenprediger Thomas Cook im Jahr 1841

Er hielt ihn für den Ursprung allen gesellschaftlichen Elends. Der Mann hieß Thomas Cook und suchte nach einem Weg, die Trunksucht im viktorianischen England zu bekämpfen.

Cook war Baptist, neben seiner Arbeit besuchte er eine Sonntagsschule, mit 20 wurde er ausgebildeter Laienprediger. Er engagierte sich für die damals erstarkende Abstinenzbewegung. Cook brachte sogar eine eigene Zeitung heraus, um über die Gefahren des Alkoholkonsums aufzuklären.

Am 9. Juni 1841, auf einem Fußmarsch von dem Ort Market Harborough in die 24 Kilometer entfernte Stadt Leicester, kam ihm eine Idee: Schöne Ausflüge könnten Menschen davon abhalten, zum Alkohol zu greifen. Zufällig zur selben Zeit führte die Eisenbahn, die bisher nur Kohle und Stahl durchs Land fuhr, erste Personenzüge ein. Cook organisierte sogleich für Interessenten eine Reise von Leicester ins 18 Kilometer entfernte Loughborough. Als er bei der Bahngesellschaft einen Sonderzug anfragte, bekam er sogar noch eine Spende obendrauf. Cook druckte Plakate und Werbezettel: ein Ticket sollte den Sonderpreis von 1 Schilling kosten, Schinkenbrot und Tee inklusive. Der Baptistenprediger wurde in diesem Moment zum ersten Reiseveranstalter der Geschichte.

Schließlich nahmen 485 Menschen an der ersten Pauschalreise der Welt teil. Die Fahrt am 5. Juli 1841 wurde zum Ereignis: Menschen drängten sich auf den Straßen, lagen in Fenstern und jubelten der Reisegruppe zu. Am Zielort schaute sich die Reisegruppe den Ort an, hielt ein Picknick im Park ab, und es gab, kaum anders als auf heutigen Pauschalreisen, Musik, Sport und Spiele. Gegen 22.30 Uhr fuhr der Zug mit den erschöpften Teilnehmern zurück nach Leicester. Noch heute erinnert eine Statue von Thomas Cook an der Bahnstation Leicester an diese geschichtsträchtige Reise.

Der erste Reiseführer

Es folgten weitere Pauschalreisen mit dem Rundum-sorglos-Paket von Thomas Cook für unerfahrene Reiselustige. Im Jahr 1845 gab es eine geführte Bahnreise nach Liverpool – mit 1.200 Teilnehmern, von denen viele noch nie das Meer gesehen hatten. Cook hatte die Reisestrecke vorab detailliert erkundet und eine Broschüre mit Sehenswürdigkeiten, Hinweisen und Warnungen zusammengestellt. Der erste Reiseführer war geboren. Im Jahr 1851 organisierte der Bapistenprediger für 150.000 Menschen eine Reise zur ersten Weltausstellung nach London. 1872 rief er mit seinem Sohn das erste Reiseunternehmen ins Leben: „Thomas Cook & Son“, mitsamt eigenem Hotel. Im selben Jahr gab es bereits die erste organisierte Weltreise: In 222 Tagen legten die Teilnehmer gut 40.000 Kilometer zurück.

Cook starb im Jahr 1892 in Leicester im Alter von 83 Jahren. Auf seinem Grabstein steht: „Millionen Menschen hat er das Reisen ermöglicht“. Cooks Firma legte den Grundstein für den Massentourismus, der heute für jeden zehnten Job weltweit verantwortlich ist. Die Marke Thomas Cook wurde 2001 an den deutschen Reisekonzern C&N verkauft, der damals zu Lufthansa und KarstadtQuelle gehörte. Ein vor kurzem geplanter Kauf durch einen chinesischen Konzern scheiterte, hohe Schulden gaben dem Unternehmen den Rest. Am Montag meldete das Unternehmen Thomas Cook, der erste Reiseanbieter der Welt, die Insolvenz an.

Vielleicht denkt manch einer, der heute, 180 Jahre nach dem Geistesblitz des Predigers Thomas Cook, die Scharen von saufenden Touristen auf dem Ballermann oder an thailändischen Stränden sieht, einmal kurz daran, worum es bei der allersten Pauschalreise ursprünglich einmal ging.

Von: Jörn Schumacher

Helfen Sie PRO mit einer Spende
Bei PRO sind alle Artikel frei zugänglich und kostenlos - und das soll auch so bleiben. PRO finanziert sich durch freiwillige Spenden. Unterstützen Sie jetzt PRO mit Ihrer Spende.

Ihre Nachricht an die Redaktion

Sie haben Fragen, Kritik, Lob oder Anregungen? Dann schreiben Sie gerne eine Nachricht direkt an die PRO-Redaktion.

Offline, Inhalt evtl. nicht aktuell

PRO-App installieren
und nichts mehr verpassen

So geht's:

1.  Auf „Teilen“ tippen
2. „Zum Home-Bildschirm“ wählen