Volkskrankheit Einsamkeit

Einsamkeit ist ein recht häufiges Problem in unserer Gesellschaft. Doch es gibt Strategien dagegen. Darauf macht der Dokumentationsfilm „Epidemie Einsamkeit“ am Donnerstagabend auf 3sat aufmerksam. Eine Diskussion mit Gert Scobel und Experten beleuchtet das Problem anschließend genauer.
Von Jörn Schumacher
Neu in der Stadt: Berufsanfänger Christian Adis muss sich einen neuen Freundeskreis aufbauen.

Von Einsamkeit sind nicht nur Ältere, sondern auch jüngere Erwachsene betroffen. Dies beobachten Experten immer mehr. „Die Gründe für die wachsende Vereinsamung sind so vielschichtig wie das Gefühl selbst“, heißt es in der 44-minütigen Dokumentation, die der Fernsehsender 3sat am Donnerstag, dem 14. Februar, um 20:15 Uhr ausstrahlt.

Einsamkeit kann geradezu krank machen, sagen Experten. „Das Streben nach sozialer Einbindung ist tief im Menschen verwurzelt. Unsere Vorfahren waren auf den Zusammenhalt der Gruppe angewiesen, um zu überleben“, heißt es in der Sendungsankündigung. Eva Münstermann und Frédérique Veith zeigen in ihrem Film einerseits die vielfältigen Probleme mit der Einsamkeit, andererseits stellen sie aber auch Initiativen vor, die das Phänomen erfolgreich bekämpfen. In Deutschland leben rund 41 Prozent der Menschen allein, in Schweden sogar 51 Prozent.

Beispielhaft zeigt der Film den jungen Biologen Christian Adis, der vor sechs Monaten aus beruflichen Gründen nach Hamburg zog und nun versuchen muss, in der neuen großen Stadt Anschluss zu suchen. „Viele Menschen fühlen sich wie Christian nach einem Umzug einsam und isoliert“, heißt es im Beitrag. Laut dem Statistischem Bundesamt wechseln jährlich rund sechs Prozent der Bevölkerung ihr Zuhause. Kurz vor dem Umzug nach Hamburg ging zudem Christians Beziehung in die Brüche. „Wie und wo neue Freunde finden“, lautet daher seine Frage. Christian ist auf die Freundschafts-App „25friends“ gestoßen und bekommt so die Möglichkeit, neue Freunde zu finden. Ihm ist die Gefahr bewusst, beim Anblick der Fotos anderer Leute auf Instagram zu denken, diese führten ein fantastisches Leben in ständigem Urlaub. „Es kommt immer darauf an, ob man sich davon beeindrucken lässt oder nicht, ob man neidisch wird oder nicht“, sagt Christian über das Problem.

Auch die Frage, ob Soziale Medien Einsamkeit verschlimmern oder verbessern, geht der Film an. Verlässliche Studien dazu gibt es noch nicht, doch eine US-Studie legt nahe: Menschen, die am Tag mehr als zwei Stunden am Tag Soziale Medien nutzen, fühlen sich doppelt so häufig einsam wie Menschen, die dies weniger als 30 Minuten am Tag tun. Allerdings sei es hier schwierig zu sagen, Ursache und was Wirkung ist, sagt die Psychologin Maike Luhmann.

Soziale Medien: Ursache oder Lösung?

Luhmann erforscht an der Ruhr-Universität Bochum, welche Auswirkungen Einsamkeit auf den Menschen hat. Sie unterscheidet zwischen Alleinsein, sozialer Isolation und Einsamkeit, also zwischen einer Zustandsbeschreibung und einer Emotion. Einsamkeit beschreibe das Gefühl, dass die sozialen Kontakte, die man hat, nicht ausreichen. „Man leidet darunter, es ist schmerzhaft“, sagt Luhmann. Manche Menschen brauchen viele Kontakte, andere fühlen sich schon mit zweien sozial gut eingebunden.

Der Soziologe Janosch Schobin von der Uni Kassel betont, dass Alleinsein auch positiv wahrgenommen werden könne: Beim selbstgewählten Rückzug könne man positive Erfahrungen machen, die man in anderen Situationen nicht machen könne. „Der Rückzug ist eine einzigartige Weise, etwas über sich zu erfahren“, sagt Schobin.

Der Film stellt auch Projekte vor, die gegen den Trend vorgehen. In der Schweiz etwa ruft die Genossenschaft KISS neue Nachbarschaftspunkte ins Leben, um ältere Menschen miteinander zu vernetzen. Der Verein vermittelt Nachbarschaftshilfe wie etwa Hilfe beim Einkaufen oder Partner fürs Spazierengehen.

In Großbritannien spricht das Rote Kreuz bei Einsamkeit sogar von einer „Epidemie im Verborgenen“, heißt es im Bericht. Denn Einsamkeit hat gesundheitliche Auswirkungen. Von den 66 Millionen Briten fühlten sich neun Millionen immer oder häufig einsam. Die Regierung habe deswegen sogar mittlerweile eine „Einsamkeits-Ministerin“ ernannt. Projekte wie Eine Werkstatt für Männer wurden ins Leben gerufen. Die Ärztin Helen Kingston rief 2013 ein Team ins Leben, der Einsamkeit den Kampf anzusagen. „Kingstons Team will den Teufelskreis aus sozialer Isolation und Krankheit durchbrechen“, heißt es.

Talkrunde mit Experten

Im Anschluss an die Dokumentation, um 21 Uhr, diskutiert Gert Scobel im Rahmen von „Wissenschaft am Donnerstag“ mit seinen Gästen in der Sendung „scobel“ über die „Epidemie Einsamkeit“. Die Gäste sind die Gesundheitspsychologin Sonia Lippke, der Soziologe Hartmut Rosa und der Freundschaftsforscher Janosch Schobin. „Einsamkeit wird in der Gesellschaft immer mehr zum Problem, weil es immer mehr einsame Menschen gibt“, heißt es in der Sendungsankündigung. Im Gehirn werde dieses Gefühl wie körperlicher Schmerz verarbeitet, chronische Einsamkeit kann das Immunsystem schwächen, Schlafstörungen verursachen und sogar Herzinfarkte begünstigen. Depressionen, Angst und Scham können zu den psychischen Auswirkungen gehören.

„Aber Einsamkeit kann sich auch positiv auswirken“, heißt es weiter. „Denn seit jeher haben Philosophen, Künstler und religiöse Traditionen sie auch als Mittel der Selbsterkenntnis, als Quelle der Kreativität und als Tor zu spirituellen Erfahrungen gesehen. Hat der moderne Mensch vielleicht den produktiven Umgang mit der Einsamkeit ein Stück weit verlernt?“, fragt die Sendung.

„Epidemie Einsamkeit“, 14. Februar 2019, 20.15 Uhr, 3sat,

„scobel – Epidemie Einsamkeit“, 14. Februar 2019, 21 Uhr, 3sat

Von: Jörn Schumacher

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