Volkskirche will „Unternehmer der Mission“ werden

Fast alle Landeskirchen Deutschlands leiden unter Mitgliederschwund, wirkliches Wachstum verzeichnet die Evangelische Kirche hierzulande nirgends. Strategien, um dieser Misere zu entkommen und Christsein wieder attraktiv zu machen, suchen Prominente, wie EKD-Präses Katrin Göring-Eckardt, Prälat Bernhard Felmberg oder Professor Michael Herbst gemeinsam mit Kirchenmitarbeitern bei der Tagung "Missionarisch Volkskirche gestalten" in Berlin.

Von PRO

"Unsere Kirche wird kleiner, älter und ärmer", sagte Michael Herbst, Professor an der Universität Greifswald, zum Auftakt der dreitägigen Veranstaltung der "Arbeitsgemeinschaft Missionarische Dienste im Diakonischen Werk der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD)" am Gendarmenmarkt. Häufig sei es der finanzielle und personelle Notstand, der ein Wachstum der Kirche verhindere – den Mitarbeiter fehle es an Kraft und Mut zu missionarischen Schritten. Vor allem aber mangele es an "geistlicher Leitung", die mehr sei als die "Leitung durch Geistliche". Kirche müsse offen bleiben für das Leiten Gottes und Orte schaffen, an denen etwa dem Gebet Raum gegeben werde. Sie müsse andere ermutigen, ihre Gaben zu entdecken und Ressourcen bereitstellen.

Herbst kritisierte ein "Kirchturmdenken" innerhalb der Landeskirchen, dass nur die eigene Gemeinde sehe und wo möglicherweise noch Neid auf die Projekte anderer Kirchen entstehe. "Diese Dinge behindern missionarische Volkskirche", sagte er. Leiter müssten heute weniger Verwalter und etwas mehr "Unternehmer der Mission" sein. Missionarische Projekte sollten nicht an regionalen Grenzen ausgerichtet sein, sondern an den Bedürfnissen der Menschen in ihren unterschiedlichen Milieus, Alterskohorten oder Netzwerken. Nur so könnten möglichst viele Menschen dem Evangelium begegnen.

"Durst nach geistlicher Orientierung"

Um erfolgreich für den eigenen Glauben zu werben, müssten Gemeinden Koalitionen eingehen und gemeinsame Projekte starten, etwa Glaubenskurse oder diakonische Arbeit. Herbst forderte "Mut zu etwas mehr Unordnung" in den Gemeinden, die automatisch entstehe, wenn sich Christen auf neue Formen gemeindlichen Lebens einließen, etwa in Hausgemeinden, Netzwerkgemeinschaften oder Jugendkirchen. Letztendlich seien es aber nicht die Strategien, die missionarische Kirche ausmache: "Vielleicht ist schon der Wunsch zu wachsen, das eigentliche Markenzeichen einer missionarischen Volkskirche", sagte Herbst.

Neben dem Fachmann für missionarische Projekte innerhalb der Landeskirche, sprachen auch die Präses der EKD, Katrin Göring-Eckardt, und der Bevollmächtige der Evangelischen Kirche in Deutschland bei Bundestag, Bundesregierung und Europäischer Union, Prälat Bernhard Felmberg, zu den aus der ganzen Republik angereisten Gästen. Der Begriff der Mission sei, "nicht ganz unverschuldet", noch immer negativ besetzt, sagte Göring-Eckardt. Das habe die Kirche in Sachen Mission lange Zeit "sprachlos gemacht". "Wir dürfen und sollen von unserer Begeisterung für die Sache Jesu erzählen", sagte sie weiter. Mission sei schließlich Werbung für das Evangelium. Dabei müsse Kirche da ansetzen, wo die Menschen gar nichts mehr von dem wüssten, an was Christen glaubten.

Felmberg nannte die Mission "eines der wichtigsten Themen" der Kirche. Ein Aufbruch in diesem Bereich sei so "wichtig wie nie zuvor". Deshalb halte er es für seine Aufgabe, missionarische Dienste auszuweiten, um mehr Menschen Zugang zum Evangelium zu ermöglichen. Er spüre einen "Durst nach geistlicher Orientierung" in der Welt. Aufgabe der Kirche sei es nun vor allem, auch dort präsent zu sein, wo man es nicht von ihr erwarte.

Biblische Sprache wirken lassen

Der "Welt"-Redakteur Matthias Kamann erklärte zum Thema "Die Glaubwürdigkeit der Kirche aus journalistischer Perspektive", Christen sollten Vorsicht beim Begriff Glaubwürdigkeit walten und sich lieber an ihren Kompetenzen messen lassen. Er plädierte dafür, dass die Kirche wieder häufiger auf die reine Kraft der biblischen Erzählung vertraue, anstatt die Worte der Bibel bis ins kleinste Detail auszudeuten und zu interpretieren. "Mache ich die Geschichte nicht eher kaputt, wenn ich frage, ob ich sie auf die Situation im Büro übertragen kann?", fragte er. Er fühle sich in Gottesdiensten oft wie in einem Theater, in dem über Shakespeare gesprochen, aber kein Stück von ihm aufgeführt werde. Sein Vorschlag an Gemeinden: Sie könnten etwa in Kindergottesdiensten einfach einmal 20 Minuten lang eine biblische Geschichte erzählen – "ohne Basteln und ohne die Frage: Was würde dein Vater tun?"

Kamann lobte eine neue Sprachfähigkeit der Kirche bei gesellschaftspolitischen Themen, etwa der Diskussionen um die Präimplantationsdiagnostik. Hierbei setze die Kirche nicht einseitig auf politische Empfehlungen, sondern lasse die Vielfalt der Meinungen ihrer Mitglieder hören. Evangelische Freiheit bedeute auch Debatte, politische Empfehlungen der Leitung schränkten das Denken des Einzelnen ein, erklärte der Journalist. Auch die Debatte an sich könne schließlich ein "missionarischer Vorgang" sein. Kamann wünschte sich zudem einen musikalischen Aufbruch innerhalb der Kirche. Neue geistliche Lieder seien selten "frei von musikalischen und textlichen Peinlichkeiten". "Wer so schlechte Musik macht, muss sich fragen, ob er das Zeug zur volkskirchlichen Missionierung hat", erklärte er. Zudem müsse Kirche aufhören, bestimmte Passagen der Bibel, etwa die Offenbarung, zu meiden, weil sie Angst davor habe, ihre Sprachbilder nicht gänzlich erfassen zu können. Gerade im Bezug auf das Leben nach dem Tod litten Gemeinden unter "Spracharmut".

Gundlach: Gegen eine Beliebigkeit der Botschaft

Der Vizepräsident des Kirchenamtes der EKD, Thies Gundlach, erklärte, glaubwürdig sei allein Gott selbst, nicht die Kirche. Vom ersten Tag an sei das Evangelium glaubwürdiger gewesen als die Christen. Kirche könne diese Glaubwürdigkeit befördern, indem sie das Evangelium bezeuge, sie könne sich aber auch vor das Evangelium stellen und sich dort zu breit machen, um so dessen Glaubwürdigkeit zu verbergen. Gundlach sieht einen "religiösen Overkill". Kernelemente des Glaubens würden nicht mehr weitergegeben, weil die allgemeine Geschäftigkeit der Kirche ihre Mitarbeiter davon abhalte. Weiter fragte er: "Machen wir uns manchmal nicht etwas zu gefällig, damit Menschen uns noch mögen und noch zu uns kommen?" Glaubwürdig sei hingegen eine Kirche, die offen nach Gott suche. "Wir antworten viel zu viel und fragen zu wenig", sagte er. Aufgabe der Kirche sei es, wieder nach einer ehrlichen Theologie zu suchen, die die Verlorenheit der Menschen in den Blick nehme und versuche, das Leben zu verstehen, anstatt gleich Ratschläge zu geben.

Die Tagung "Missionarisch Volkskirche gestalten – Möglichkeiten der mittleren Leitungsebene" hat am Mittwoch begonnen und läuft noch bis Freitag. (pro)

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