Virtuelle Realität nach Feierabend

Die Zeit, die PC-Spieler in virtuellen Welten verbringen, wird länger. Das Durchschnittsalter steigt, und auch Frauen und Mädchen spielen immer häufiger am Computer. Dies geht aus einer Studie der Johann-Wolfgang-Goethe-Universität Frankfurt am Main hervor. Dabei wehren sich die meisten gegen das Image von Computerspielern als jugendliche Sonderlinge, die durch Ballerspiele irgendwann gefährlich für die Gesellschaft werden.
Von PRO

Jeder dritte Online-Gamer spielt täglich über 180 Minuten im Netz, berichtet die Tageszeitung „Die Welt“ unter Berufung auf die Studienergebnisse aus Frankfurt. Am meisten Zeit mit dem Online-Gaming verbringen junge Menschen: 60 Prozent der 13- bis 15-Jährigen spielen über 30 Stunden pro Woche übers Internet. Die durchschnittliche Spielzeit nimmt mit steigendem Alter zwar ab: Unter den 21- bis 25 Jährigen spielen nur noch 14,6 Prozent mehr als 30 Stunden in der Woche. In der Gruppe der 26- bis 30-Jährigen sind es nur noch 8,8 Prozent. Doch die älteren Generationen holen auf: Auch die über 30-Jährigen bleiben zunehmend länger vor dem PC und liegen fast gleichauf mit Schülern. Ein Drittel von ihnen spielt mehr als vier Stunden am Tag. Die meisten der erwachsenen Vielzocker sind laut Studie berufstätig. Die Soziologen hatten 600 Online-Spieler im Alter von 13 bis 35 Jahren befragt.

Laut „Welt“ wirkt sich die Entwicklung auch auf die Altersfreigabe von PC-Spielen aus. Diese spielten „offenbar gar keine Rolle mehr“. Als sie nach ihren Lieblingsspielen gefragt wurden, nannten 40 Prozent der 13- bis 15-Jährigen Titel, die sie noch gar nicht spielen dürften, weil sie eine Altersfreigabe ab 16 oder 18 Jahren haben.

Außerdem mischten immer mehr weibliche Spieler in den Computerwelten mit, so die Wissenschaftler. Jede zehnte PC-Spielerin beschäftigt sich mehr als zehn Stunden täglich mit ihrem Hobby. Vier von fünf befragten Frauen (80 Prozent) spielen laut „Welt“ mehr als drei Stunden täglich. Vier von fünf der befragten Mädchen und Frauen sind in Zusammenschlüssen organisiert – so genannten Clans und Gilden. Jede Dritte betreibt ihr Hobby sogar auf Wettkampfniveau und tritt in einer Liga gegen andere Spieler an.

Über alle Berufsstände hinweg

In Online-Spielen sind die Spieler oft auf andere angewiesen, deren Lebensumstände oder Berufe des „wirklichen Lebens“ jedoch irrelevant sind. „Über alle Berufsstände hinweg spielen die Online-Gamer mit ihren anonymen Gegnern, ohne ihre Lebensläufe zu kennen, geschweige denn sich dafür zu interessieren“, schreibt „Die Welt“. „Schüler, Ärzte, Lagerarbeiter, Anwälte und Lehrer werden in ihrer Freizeit im Netz zu Säbel schwingenden Amazonen, unerschrockenen Kampfpiloten, visionären Städtebauern und grimmigen Scharfschützen.“

Die meisten Spieler, die mehr als 20 Stunden pro Woche spielen, finden sich unter den Arbeitssuchenden (52 Prozent), bei Auszubildenden (44,2 Prozent) und bei Schülern (43,6 Prozent). Danach folgen Angestellte mit 34,9 Prozent sowie Selbständige, Hausfrauen und -männer mit 33 Prozent. Am wenigsten nehmen sich Studenten Zeit für Online-Spiele: Hier liegt der Anteil jener, die länger als 20 Stunden pro Woche in virtuellen Welten verbringen, bei 21,9 Prozent.

Online-Spieler beklagen Negativ-Image

Aufgrund von Medienberichten hat sich ein negatives Image der Computerspiele in der Gesellschaft verbreitet, sind viele Gamer überzeugt. Von den Befragten glauben 90 Prozent, dass Computerspiele in der Öffentlichkeit einen schlechten Ruf haben. Berichte über jugendliche Attentäter, die „Ego-Shooter“ spielten sowie über Pädophile, die Online-Welten wie „Second Life“ für ihr Treiben nutzten, trugen dazu bei, dass Gamer ihre Freizeitbeschäftigung rechtfertigen und verteidigen müssen. Häufig werde in der Öffentlichkeit der Vorwurf geäußert, dass die Nutzer von Online-Games in den virtuellen Welten hängen blieben und den Bezug zur Realität verlören.

Dabei glauben fast zwei Drittel (62 Prozent) der Befragten, durch das Spielen ihre Reflexe trainieren zu können. Fast drei Viertel gaben an, dass sie dadurch ihr taktisches Denken schulen, und zwei Drittel sehen eine Verbesserung ihres logischen Denkens. 58 Prozent meinen, sich am Computer gut abreagieren zu können und 79 Prozent bewerten das Spielen als „sehr entspannend“.

Kritik an den Computerfähigkeiten von Jugendlichen äußerten jedoch Lehrmeister und Ausbilder bei einer Umfrage von TNS-Infratest. Fast jeder Zweite (46 Prozent) der bundesweit rund 500.000 Lehrlinge im deutschen Handwerk könne demnach nicht vernünftig mit Computer und Internet arbeiten. Die Forscher hatten 200 Meister in deutschen Handwerksbetrieben befragt. Sie gaben an, dass 60 Prozent der Azubis keine ausreichenden Kenntnisse in Textverarbeitungs-Programmen wie Microsoft Word hätten. Beim Umgang mit Tabellen-Kalkulation fehlten drei Viertel der Lehrlinge ebenfalls das nötige Wissen. Die „Generation Google“ nutze den Computer offenbar zum Surfen im Internet und zum Spielen, nicht jedoch zum Arbeiten, so die Schlussfolgerung.

Die am Donnerstag startende wichtigste Spielmesse Europas, die „Games Convention“ (GC), wird als Schwerpunktthema „Family Play“ haben. Wie die Messe mitteilte, solle es dabei um Medienkompetenz und kindgerechte Medien gehen. Eltern, Lehrer und Kinder sollen zu diesem Thema noch umfassender informiert werden als in den vergangenen Jahren. „GC family“ bekommt daher erstmals eine eigene Halle. Auf der „Games Convention“ treffen sich vom 23. bis 26. August in Leipzig alle wichtigen Vertreter aus den Bereichen interaktive Unterhaltung, Infotainment, Edutainment und Hardware. Es werden 410 Aussteller aus 26 Ländern erwartet, die ihre neuesten Produkte präsentieren – elf Prozent mehr als im vergangenen Jahr.

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