Virtuelle Praxis hilft bei Onlinesucht

Die erste Praxis für Onlinesucht öffnet am 1. August ihre Tore – und die sind virtuell. Im Internet können sich Betroffene beraten lassen, Selbsthilfegruppen aufsuchen und Fachliteratur wälzen. Andere Besucher der Praxis bekommen sie dabei nie zu Gesicht, denn das Onlineangebot ist völlig anonym.
Von PRO

Eine blonde Sprechstundenhilfe grüßt freundlich, wenn Gäste die Praxis für Onlinesucht betreten. Das Wartezimmer ist schon gut belegt, obwohl die ersten Beratungstermin noch weit in der Zukunft liegen. Die Zeit können sich Patienten mit Fachbroschüren, einem Kaffee oder einem Blick auf die Pinnwand vertreiben. Gabriele Farkes Praxis für Onlinesucht unterscheidet sich in fast nichts von einer normalen Arztpraxis – doch sie existiert nur auf dem Bildschirm. Wie in einem Computerspiel klicken sich die Gäste durch das Programm. Bei Beratungsterminen sollen sie chatten, anstatt sich in Gruppen gegenüberzusitzen. Die Berater heißen nicht Dr. X oder Arzthelferin Y, sondern Addi, Thomas oder Anita. Die Internetcommunity legt wert auf Anonymität, umso mehr, wenn sie sich hier wegen einer möglichen Sucht beraten lassen soll.

Tabuthema Onlinesucht

„Da Onlinesucht in Deutschland immer noch ein Tabuthema ist, hat die große Mehrheit der Betroffenen zu große Scheu davor, sich in einer Gruppe zu treffen und vor anderen über die persönlichen Probleme zu sprechen. Genau aus diesem Grund starten wir im August mit der ersten virtuellen Beratungspraxis für Onlinesucht, in der sich Interessierte frei und vollkommen anonym zum Thema informieren, gegenseitig austauschen und beraten lassen können“, erklärt Gabriele Farke, Initiatorin der Praxis, im Internet. „Menschen, die an sich selbst ein Defizit in ihrem Internetverhalten feststellen, suchen zuallererst online nach Hilfen und Beratungsangeboten. Über eine Suchmaschine gelangen sie auf unser Selbsthilfeportal, wo sie über Grundproblem, Therapieangebote und dergleichen informiert werden“, erklärt die Expertin.

Gabriele Farke war lange Jahre selbst von Onlinesucht betroffen. Das berichtet sie in ihrem Steckbrief im Internet. Seit zehn Jahren beschäftigt sie sich ehrenamtlich mit dem Thema Onlinesucht, rief eine Internetseite zum Thema ins Leben und ist Vorsitzende des Vereins „Hilfe zur Selbsthilfe bei Onlinesucht (HSO)“, zu dem die virtuelle Praxis gehört. Sie ist außerdem selbst Beraterin in der Einrichtung. „Für viele Besucher unserer Seiten ist es das erste Mal, dass sie sich überhaupt trauen, über ihr Problem zu sprechen. Dieser erste Schritt leitet oft einen Prozess ein, der letztlich den Ausstieg aus der Onlinesucht auslöst und eventuell sogar Lust auf die Gründung oder Teilnahme an einer Selbsthilfegruppe macht“, erklärt sie gegenüber dem Nachrichtendienst „Pressetext“.

Selbsthilfe-Programm beginnt im August

Die Praxis soll am 1. August mit einem Einführungsabend öffnen. Dann sollen sich möglichst viele Chatter im „Gruppenraum“ versammeln, um mehr über die Arbeit von HSO zu erfahren. Ab dem 4. August wollen die Initiatoren ein festes Selbsthilfe-Programm einrichten, in dem täglich Online-Suchtkranke in den Bereichen „allgemeine Sucht“, „Spielsucht“ und „Sexsucht“ betreut werden. „Die virtuellen Selbsthilfegruppen werden stets von einem kompetenten Moderator geleitet und die Gespräche werden protokolliert. So ist gewährleistet, dass der Beratungsraum, der nur zu den ausgeschriebenen Terminen geöffnet wird, nicht zweckentfremdet und zum Plaudern genutzt wird“, erklärt Farke. Die Protokolle sollen dann in einem virtuellen Ordner nachzulesen sein. Die Teilnahme an den Selbsthilfegruppen ist kostenlos und für alle Interessierten im deutschsprachigen Raum zugänglich.

Drei bis sieben Prozent der Internetnutzer gelten laut dem aktuellen „Drogen- und Suchtbericht“ der Bundesregierung als „onlinesüchtig“. Doch das Phänomen ist kaum wissenschaftlich untersucht. Aus diesem Grund ist die „Onlinesucht“, obwohl der Begriff seit Mitte der neunziger Jahre in Fachkreisen kursiert, nicht als Krankheit anerkannt. (PRO)

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