Vatikan holt sich Religionskritiker als Berater

Einerseits ist er Mitglied in der antireligiösen "Giordano Bruno-Stiftung", andererseits berät er nun auch den Vatikan. Der deutsche Hirnforscher Wolf Joachim Singer, Professor für Neurologie und Direktor des Max Planck Instituts für Hirnforschung in Frankfurt am Main, ist vom Papst zum Berater im vatikanischen Kulturrat ernannt worden.
Von PRO

Singer gilt als einer der führenden Hirnforscher unserer Zeit von internationalem Ruf. In Interviews, Vorträgen und Essays stellte er mehrfach unter anderem seine These auf, dass der Mensch keine Willensfreiheit besitze. Auch einen Dualismus von Seele und Körper lehnt der Forscher ab. Als "Gläubigen" will er sich ebenso wenig bezeichnen wie als "Atheisten".

Der Hirnforscher nahm vor einigen Jahren an einer zehntägigen Zen-Meditation teil und unterhielt sich 2008 mit dem buddhistischen Mönch Matthieu Ricard, der früher Molekularbiologe war, über Meditation. Daraus ist das Buch "Hirnforschung und Meditation. Ein Dialog" geworden. Religiöse Erfahrungen möchte er stets ausschließlich mit Verweis auf neurophysiologische Vorgänge im Gehirn erklären. In einem Interview mit der Zeitschrift "Die Zeit" aus dem Jahr 2005 antwortete Singer auf die Frage, ob er Christ, Buddhist oder Atheist sei, ausweichend: Er sei "als integriertes Mitglied dieser abendländischen Gesellschaft massiv geprägt von christlichen Glaubens- und Wertevorstellungen". Einen Glauben an einen persönlichen Gott vertrete er jedoch nicht. Als "Atheisten" möchte er sich jedoch auch nicht bezeichnen. "Denn ich weiß natürlich, dass es jenseits des Begreifbaren noch Dimensionen gibt, für die ich keinen Namen habe." Religiöse Riten sieht er jedoch als nützlich für eine Gesellschaft an.

Der Vatikan in Rom sah diese Ansichten Singers nicht als hinderlich an, ihn in die Päpstliche Akademie der Wissenschaften in Rom zu berufen. Dort ist der Mediziner seit 1992 lebenslanges Mitglied. Wie er damals gegenüber der "Zeit" verriet, sehe er keinen Widerspruch zwischen seinen Ansichten und diesem Amt als Berater für die Katholische Kirche. "Die Akademie ist ja kein religiöses Gremium, da sind Menschen mit unterschiedlichsten Ansichten vertreten – Agnostiker, gläubige Christen, Skeptiker", so Singer. Sie berate den Papst und den Vatikan in wissenschaftlichen Fragen, erklärte er. Die Kirche stelle neben die Wissenschaft die göttliche Offenbarung. Singer: "Alles Wissbare hat Grenzen. Die Wissenschaft erklärt die Welt nie vollständig. Das fängt schon beim Urknall an – was war davor?" Er lebe mit der Gewissheit, "dass das, was sich uns erschließt, nur ein Teil von etwas Größerem, nicht Erfassbarem sein kann". Er sei überzeugt: "Es kommt keiner von uns ohne Metaphysik aus. Ich glaube, dass etwas jenseits unserer begrenzten Vernunft existiert, sozusagen etwas vor und hinter unserer rational erfassbaren Welt. Ich glaube, man sollte es nicht benennen wollen."

Werbung für den Gegen-Glauben

Wie am Samstag bekannt wurde, ist Singer nun auch zum Berater im Kulturrat des Papstes berufen worden. Neben einigen katholischen Theologen wurden unter anderem mit diesem Amt betraut: Francesc Torralba Roselló, Professor für Philosophie an der Universität Ramon Llull in Barcelona, Piero Benvenuti, Professor für Astrophysik und Direktor des "Center of Science and Space"
an der Universität von Padua, Bruno Coppi, Professor für Physik am Massachusetts Institute of Technology (MIT) und Marguerite A. Peeters, Journalistin und Generaldirektorin des in Brüssel ansässigen Instituts für den interkulturellen Dialog.

Singer ist bereits seit längerem Mitglied im Beirat der Giordano Bruno Stiftung. Sie wurde 2004 in Mastershausen (Hunsrück) von dem Unternehmer Herbert Steffen gegründet. Die Stiftung vertritt nicht nur einen "Evolutionärer Humanismus", sondern macht aktiv in der Öffentlichkeit Werbung für diese Weltanschauung. Der Mensch ist nach der Auffassung der Mitglieder nicht "Krone der Schöpfung", "sondern als unbeabsichtigtes Produkt der natürlichen Evolution". Ziel der Stiftung ist es nach eigener Aussage, "eine tragfähige säkulare Alternative zu den bestehenden Religionen zu entwickeln". Dabei stellt sie bewusst Glaube und Religion als unvereinbar mit der Wissenschaft dar. Im Jahr 2010 gab die Stiftung 2.400 Fördermitglieder an. Dem Beirat gehören derzeit 57 Wissenschaftler und Künstler sowie einzelne Politiker und Journalisten an, darunter der Wissenschaftstheoretiker Hans Albert, die SPD-Politikerin Ingrid Matthäus-Meier, der Zeichner Janosch und die Schriftstellerin Karen Duve. Im Vorstand sitzt der Philosoph und bekennende Atheist Michael Schmidt-Salomon. Die Giordano Bruno-Stiftung macht mit religionsfeindlichen Parolen Werbung für den Atheismus und legt den Menschen den Glauben nah, dass es keinen Gott gibt. Im Jahr 2009 unterstützte sie etwa die Kampagne, wo auf Bussen der Spruch plakatiert worden war: "Es gibt (mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit) keinen Gott".

Richard Dawkins "wenig überzeugend"

Im November trat der emeritierte Philosophieprofessor Norbert Hoerster aus der religionsfeindlichen Stiftung aus. Wie Hoerster gegenüber der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" erklärte, lehne er die von ihrem Sprecher Schmidt-Salomon vertretenen Inhalte, die Kampagnen und den "niveaulosen Argumentationsstil" ab. Auslöser für die endgültige Trennung Hoersters von der Stiftung war nach Auskunft Schmidt-Salomons in einer Pressemeldung offenbar eine Beiratssitzung im September dieses Jahres. Dort soll sich Hoerster scharf gegen das eine Anti-Papst-Demonstration unter dem Motto "Keine Macht den Dogmen" gewandt haben. Kampagnen und Sprachgebrauch in diesem Zusammenhang entsprächen nicht seinem "ästhetischen Empfinden", so der Sozialphilosoph. Wenig überzeugend finde er zudem den "Neuen Atheismus" des Biologen Richard Dawkins, den auch die Stiftung vertritt. "Ich sehe nicht, wieso ausgerechnet die Evolutionstheorie den Gottesglauben widerlegen, ja ersetzen kann", schreibt Hoerster. (pro)

Helfen Sie PRO mit einer Spende
Bei PRO sind alle Artikel frei zugänglich und kostenlos - und das soll auch so bleiben. PRO finanziert sich durch freiwillige Spenden. Unterstützen Sie jetzt PRO mit Ihrer Spende.

Ihre Nachricht an die Redaktion

Sie haben Fragen, Kritik, Lob oder Anregungen? Dann schreiben Sie gerne eine Nachricht direkt an die PRO-Redaktion.

Offline, Inhalt evtl. nicht aktuell

PRO-App installieren
und nichts mehr verpassen

So geht's:

1.  Auf „Teilen“ tippen
2. „Zum Home-Bildschirm“ wählen