„Ein Engel sei um dich herum … “, sagt Pfarrer Vincenzo Petracca. Er hat die Hände zum Segen erhoben, die Gemeinde ist aufgestanden. Petracca fährt weihevoll fort: „… um dir zuzurufen, Shake it off!“ Dann setzen die Instrumente ein, die ersten Takte jenes Liedes ertönen, das Taylor-Swift-Fans, die Swifties, auf dem ganzen Globus singen. Ihr ganz großer Welthit neben vielen anderen.
Die kurz zuvor noch bedächtig still dastehende Gemeinde wippt mit den Füßen und mit jedem Ton, jeder Note, wir die Stimmung gelöster. Als Petracca dann schließlich zum Refrain die Arme und damit auch die weiten Ärmel seines Talars schüttelt, tanzen schon alle. Schüttel sie ab, die Sorgen. Die schlechten Gefühle. Die anstrengenden Tage, die hinter dir liegen – das ist die Botschaft, mit der dieser Gottesdienst auf dem Deutschen Evangelischen Kirchentag zu Ende geht.
Ausrichter ist die Heiliggeistkirche in Heidelberg, die schon seit einiger Zeit Schlagzeilen mit Themengottesdiensten macht. Die Kirche ist immer voll, wenn die Gottesdienste im Zeichen von Stars wie Taylor Swift, Harry Styles oder Adele gefeiert werden, sogar einen Kartenverkauf haben die Christen eingerichtet, um dem Andrang Herr zu werden.

Doch ist das noch Gottesdienst, wenn im Mittelpunkt eben nicht der Schöpfer, sondern ein Musiker steht? Das fragen Kritiker zu Recht. Am Freitag auf dem Kirchentag fühlt sich die Veranstaltung in einer der Messehallen über weite Strecken an wie ein musikalisch professionell untermaltes Taylor-Swift-Referat.
„Heute gehen wir zu Taylor“
Doch beginnen wir am Anfang: Die Halle ist voll, das Publikum vor allem weiblich und eher jung. Auf den für den Kirchentag typischen Papphockern haben auch echte Fans Platz genommen, erkennbar an Tour-T-Shirts und den für die Swifties typischen Freundschaftsarmbändchen, die bei Konzerten fröhlich getauscht werden. „Ich habe meiner Freundin gesagt, wir gehen heute zu Taylor“, erzählt eine junge Frau und lacht. „Auf dem Kirchentag!“
Die Band legt los mit einem Swift-Song, der in Hoziers „Take me to church“ übergeht. Ein Hit, der immer wieder mal in Gottesdiensten gespielt wird, vermutlich wegen des Refrains: „Bring mich zur Kirche“. Wohl dem, der auch den Rest des Textes übersetzen kann, denn in der Tat ist das Lied eine Abrechnung mit selbiger.
„I worship like a dog at the shrine of your lies“ – Ich bete an wie ein Hund vor dem Altar deiner Lügen, singt die Frontfrau der Kirchenband stimmgewaltig. Was es nicht weniger seltsam macht, wenn Pfarrer Petracca nach diesem wenig freundlichen Statement gegenüber Gott unvermittelt noch im Lied zu den Eröffnungsworten übergeht: „Wir feiern diesen Gottesdienst im Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes.“
Mehr Konzert-Lesung als Gottesdienst
Nur, dass von Vater und Sohn im Folgenden wenig die Rede sein wird. Der Hauptteil des Gottesdienstes besteht aus Taylor-Swift-Songs, dazwischen streut der Pfarrer vor allem Beschreibungen des Lebens des Weltstars ein. Die Besucher erfahren, dass sie christlich aufgewachsen ist, sich von ihren frommen konservativen Wurzeln gelöst hat. Wie sie Nächstenliebe lebt und sich für eine offene Gesellschaft einsetzt.
Und wie oft sie über Gott singt. Ein bewegendes Lied über den 11. September, bisher unveröffentlicht, aber geleakt, macht das deutlich. „Haben sie nicht auch gebetet?“, heißt es darin, eine Auseinandersetzung Swifts mit dem Leid der Menschen und warum Gott es zugelassen hat. Auch das ein oder andere Bibelwort findet seinen Weg in den Gottesdienst.
Das alles hat Potenzial, das alles könnte die Menschen dazu bringen, über Gott zu sinnieren. Nur irgendwie gelingt es nicht, das Paket zusammenzuschnüren. Und spätestens als Petracca sein Freundschaftsbändchen am Arm hochhält und erzählt, wie er es selbst getauscht hat an diesem Tag, macht sich in der Magengegend ein Gefühl des Unwohlseins breit. Kirche, die sich anbiedert, das hat noch nie funktioniert. Im Gegenteil, es höhlt sie aus.
Nach einer Stunde Konzert-Lesung, denn so müsste es eigentlich heißen, verlassen viele hüftschwingend den Saal. Fürbitten gab es am Ende noch, dazu sollten die Besucher wie bei einem Konzert die Handylichter anschalten und hochhalten. Niemand kann beurteilen, ob die Leuchtenden das Gebet für Opfer von Gewalt und gegen Armut mitgetragen haben. Die Vermutung allein liegt nahe, dass sie eher auf den nächsten Swift-Song im Repertoire gewartet haben. Am Ende, zumindest das haben Petracca und seine Band erreicht, sind alle ziemlich gut gelaunt und ziehen weiter zur nächsten Kirchentagsveranstaltung. Um ihren Freunden zu erzählen, dass sie bei Taylor waren. Ein bisschen zumindest.