USA-Experte: „Es gibt erstaunlich wenig Opposition von der Kirche“

Am heutigen Dienstag hält Barack Obama die Rede zur Lage der Nation. Viele Christen betrachten den wiedergewählten Präsidenten Amerikas nach wie vor mit Skepsis. pro hat den Politik-Analysten Dustin Dehéz gefragt, warum das so ist und was wir in den nächsten Jahren von Obama zu erwarten haben.
Von PRO

Herr Dehéz, am Tag der Amtseinführung Obamas verbreitete der Pastor Marc Driscoll die These, Obama glaube weder an die Bibel noch kenne er Gott. Auf Facebook hat er dafür 10.000 Likes erhalten. Warum zweifeln viele Christen an Obamas Glauben, obwohl er sich zum Christentum bekannt hat?

Die Idee, dass Obama nicht ganz Christ oder möglicherweise Muslim sei, hat Verschwörungscharakter angenommen. Popularität hat sie aber nur in sehr kleinen, stark rechts gerichteten Kreisen erlangt. Obama gehört zu den wenigen Präsidenten, die mit mehr als 50 Prozent Zustimmung wiedergewählt worden sind. Das zeigt, dass sein Glaube für die meisten Amerikaner kein Thema ist.

Viele Amerikaner beklagten, Obama sehe die USA nur als gute Nation unter vielen, nicht aber als „beste“. Das klingt nicht nach der verbreiteten Auffassung einer „amerikanischen Ausnahme“. Ist diese Sicht eines amerikanischen Präsidenten auf sein Land eine Zeitenwende?

Obama schätzt die amerikanische Macht nüchterner ein als seine Vorgänger. Der Ausnahmecharakter Amerikas gehört zur eigenen Überzeugung Obamas, aber es ist nicht sein Duktus. In seiner Rede zur Amtseinführung war von der „unverzichtbaren Nation“ nicht mehr die Rede. Der Grund dafür ist aber, dass das ein wichtiges Thema der amerikanischen Außenpolitik ist. Amerika unter Barack Obama ist kein Land, das sich in besonderer Weise in der Außenpolitik engagiert. Er ist ein klassischer demokratischer Präsident, der sich auf die Innenpolitik konzentriert. Obama hat verdeutlicht, dass es ihm um Wirtschaft, Verteilungsgerechtigkeit und die Rolle des Staates geht – weniger um Amerikas Rolle in der Welt.

Durch Obamas innenpolitische Maßnahmen, etwa die Gesundheitsreform, übernimmt der Staat immer mehr Aufgaben, für die traditionell private Träger wie die Kirche zuständig gewesen sind. Ändert sich die Rolle der Kirchen und Glaubensgemeinschaften unter Obama?

Die Rolle der Kirchen wird sich nicht verändern. Die Kirchen wendeten sich auch nicht gegen die Gesundheitsreform an sich, sondern gegen die Tatsache, dass jeder Amerikaner verpflichtet ist, einzuzahlen. Mit anderen Themen werden die Kirchen größere Probleme haben, bei denen sich in der Tat eine Zeitenwende abzeichnet: Mit der gleichgeschlechtlichen Ehe, die mit Sicherheit in ein, zwei Jahren legal sein wird. Außerdem wird die Gleichberechtigung von Frauen in den Streitkräften ein Thema sein. Oder dass ein gleichgeschlechtliches Paar in kirchlichen Einrichtungen wird heiraten dürfen. Schließlich das Abtreibungsthema, das immer relevant bleibt. Die Bevölkerung ist mehrheitlich der Überzeugung, dass eine Frau das Recht auf Abtreibung hat.

Blüht Amerika ein Kulturkampf?

Ich bin eher überrascht, wie wenig Kulturkampf es im Augenblick gibt. Der Oberste Gerichtshof befasst sich derzeit mit dem „Defense of Marriage“-Gesetz. Es besagt, dass eine Ehe zwischen einem Mann und einer Frau ist. Der Oberste Gerichtshof wird darin wohl eine Verletzung der Verfassung sehen. Ich nehme an, dass das Gesetz, das die Ehe aussschließlich zwischen Mann und Frau vorsieht, in diesem oder im nächsten Jahr fallen wird. Viele Bundesstaaten haben die gleichgeschlechtliche Ehe bereits legalisiert. Da gibt es erstaunlich wenig Opposition von den Kirchen. Das wird bei der nationalen Diskussion sicher noch einmal anders werden.

Sie sagten, dass sich Obama auf innenpolitische Themen konzentrieren wird. Nun haben ihn viele Politiker, darunter der britische Außenminister William Hague, aufgefordert, sich im Nahost-Friedensprozess zu engagieren. Wird sich Obama darauf einlassen?

Ja. Das liegt daran, dass Obama sein politisches Kapital bis zur Zwischenwahl in zwei Jahren für innenpolitische Themen einsetzen wird. Danach wird es aufgebraucht sein und er wird sich auf die Außenpolitik konzentrieren. So haben es alle Präsidenten in ihrer zweiten Amtszeit gemacht. Das wird auch heißen, dass Obama dies in Sachen Nahost-Friedensprozess tun wird. Das ist nicht leicht, zumal sein Verhältnis zu Netanjahu als historisch schlecht gilt: Kein amerikanischer Präsident hat in den vergangenen Jahrzehnten ein so schlechtes Verhältnis zu einem israelischen Premierminister gehabt.  Für Obama wird es zunächst wichtig sein, die Fronten des „Arabischen Frühlings“ unter Kontrolle zu bekommen und die amerikanischen Interessen abzusichern. Erst dann wird er den Freiraum haben, sich um den Nahost-Friedensprozess zu kümmern.

Dustin Dehéz ist Analyst im Bereich Frieden und Sicherheit des Global Governance Institute in Frankfurt am Main. Er ist außerdem Vorsitzender des hessischen Landesverbandes der Deutschen Gesellschaft für die Vereinten Nationen. (pro)

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