Unterdrückt, am Ende überlegen: Die Kirchen und die „Wende“

20 Jahre nach dem Mauerfall, nach der friedlichen Revolution 1989, die aus dem getrennten ein vereintes Deutschland machte, erinnern nicht nur die Medien an die Vorgänge, die das DDR-Regime stürzten. In Berlin fand in dieser Woche eine Tagung statt, die sich mit der Rolle der Kirchen und Christen befasste. Zeitzeugen und Experten aus Kirche, Politik und Medien gaben wichtige Einblicke.
Von PRO

„Als Journalist wundere ich mich, dass sich die Kirche in den Medien häufig schlecht verkauft – insbesondere so wenig selbstbewusst.“ Das sagte Peter Hahne, stellvertretender Leiter des ZDF-Hauptstadtstudios in Berlin und Mitglied im Rat der EKD, auf einer Tagung der Evangelischen Medienarbeit in Berlin, die sich mit der Frage der Rolle der Kirchen als Wegbereiter der friedlichen Revolution befasste. Laut Hahne besteht für die Kirche aufgrund deren entscheidender Rolle in der „Wendezeit“ vor 20 Jahren kein Grund für öffentliche Zurückhaltung. „Dass die friedliche Revolution 1989 in erster Linie von den Kirchen und Christen ausgegangen ist, ist eine historische Tatsache. Diesen Fakt muss die Kirche heute wesentlich selbstbewusster in der Öffentlichkeit betonen, gerade im 20. Jahr nach dem Mauerfall“, so Hahne.

„Wie revolutionär ist der Gaube?“

Wohl wahr, die Rolle der Kirchen in der Wendezeit ist längst nicht mehr allen Bürgern, ganz gleich ob in Ost oder West, bekannt. Wobei zahlreiche junge Menschen, die Generation der Nachwendezeit, nicht einmal die grundlegenden Jahreszahlen, Köpfe und Gründe für die Revolution der DDR-Bürger kennen. Allein die Medien können da heute noch einen wesentlichen Beitrag leisten, um die jüngste Geschichte der Deutschen nicht aus der breiten Öffentlichkeit verschwinden zu lassen.

Umso wichtiger, dass der Medienbeauftragte der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Markus Bräuer, das ZDF und die kirchliche Versicherungsgesellschaft Bruderhilfe in Berlin zu einer Tagung über die „Wendezeit“ geladen haben. „Wie revolutionär ist der Glaube? Die Rolle der Kirchen als Wegbereiter der friedlichen Revolution 1989“ lautete das Thema.

Schon vor 20 Jahren war insbesondere das Fernsehen eines der wichtigsten medialen Instrumente der Revolution. Die renommierte Fernsehkritikerin Klaudia Wick erinnerte auf der Tagung daran. Das Fernsehen hatte damals eine nicht zu unterschätzende Wirkung. „Kleinste Mahnwachen in Kirchen wurden durch die Fernsehbilder in die Welt getragen“, so Wick. Die Revolution im kleinen Kreis sei so zu einer weltweit beachteten Bürgerbewegung geworden. Gleichzeitig suchten West-Korrespondenten den Kontakt zu Vertretern der Kirche, von denen wichtige Informationen an die Journalisten weitergegeben wurden. Dieser enge Kontakt, den unter anderem Martin-Michael Passauer, ehemaliger Generalsuperintendent in Berlin, würdigte, habe maßgeblich zum friedlichen Ablauf der Revolution beigetragen.

Kirche fand auch in DDR klare Worte

Auf der Tagung unterstrich das auch der langjährige ZDF-Korrespondent in der DDR und Redaktionsleiter der früheren Politik-Sendung „Kennzeichen D“, Joachim Jauer. „Von der evangelischen Kirche in der DDR wurde in unseren Berichten wesentliche Kritik an Vorgängen des DDR-Regimes, wie etwa Zwangsadoptionen, benannt.“ Als Fernseh-Korrespondent habe er sich immer gefragt: Wo finde ich eine Gegenmeinung zu der allgemein vertretenen in der DDR? „Ich bin damals in jedes offen stehende Pfarrhaus gegangen – und die meisten standen offen – und habe dort Auskünfte erhalten, die Reporter auf der Straße nicht bekommen haben.“ Für Jauer sind dies wesentliche Verdienste der Kirche in der ehemaligen DDR – und ein Beispiel für das wichtige und gute Zusammenwirken von Christen und Medien nicht nur in der Wendezeit.

Christhard Läpple, seit 1985 ZDF-Korrespondent in Berlin und in den Tagen der Wende Reporter für den Sender, berichtete von seinen Kontakten und Reportagen aus der untergehenden DDR. In seinen Beiträgen schilderte er die Mahnwachen vor und in den Kirchen und erlebte in seiner Berichterstattung das permanente Eingreifen von Beamten der Staatssicherheit (Stasi), die eine freie journalistische Arbeit auch von West-Korrespondenten verhindern wollte. Unterdrückung erlebten Journalisten, wie auch zahlreiche Christen. „Die Kirchen waren dem DDR-Regime von Anbeginn ein Dorn im Auge, der Kampf gegen die Kirchen war, aus Sicht der DDR, erfolgreich“, so Läpple. Das sehe man bis heute in den ostdeutschen Ländern, in denen die Minderheit der Bevölkerung Mitglieder der Kirche seien. „Selbst in Wittenberg, dem Zentrum der Reformation, sind nur etwa 10 Prozent der Bürger in der Kirche“, so Läpple.

Thierse: Kirchen waren „Übungsräume für Demokratie“

Dennoch, die Kirche hat nicht nur mit ihrer Botschaft, sondern auch durch das Engagement der Christen im kirchlichen Alltag, weit tieferen Einfluss auf die Menschen, wie Bundestagsvizepräsident Wolfgang Thierse (SPD) meinte, der die Kirchen in der ehemaligen DDR als „Übungsräume für Demokratie“ bezeichnete. „Dort haben die Menschen das Reden und den Austausch über kontroverse Meinungen gelernt“, so Thierse und das trotz der massiven Unterdrückung kirchlicher Mitarbeiter und Christen. „An keiner Stelle war das DDR-Regime so erfolgreich wie bei der Entkirchlichung der Leute.“

Dass es ausgerechnet diese Kirche war, die der DDR-Staat im Laufe seiner Existenz permanent unterdrückt hat, dass es die Christen waren, die 1989 eine entscheidende Rolle beim Sturz dieses Staates hatten, ist eines der vielen kleinen Wunder, die zu dem großen „Wunder der Wende“ geführt haben. Die Tagung der EKD-Medienarbeit in Berlin hat das eindrücklich gezeigt. (PRO)

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