Unruhen und Randale in Pakistan nach Haftentlassung

Hunderte Muslime haben am vergangenen Wochenende in Gujranwala, einer Stadt im Nordosten Pakistans, die Häuser, eine Grundschule und eine Kirche der ansässigen Christengemeinde angegriffen. Wie der globale Nachrichtendienst "Compass Direct News" am Montag berichtete, war die Ursache der Ausschreitungen die Freilassung zweier Christen. Diese wurden zuvor der Schändung des Korans verdächtigt. Polizei und Verwaltung trafen Maßnahmen zum Schutz der Christen.

Von PRO

Als Mushtaq Gill und sein
Sohn Farrukh Mushtaq am vergangenen Freitag vom Vorwurf der
Koranverbrennung und Lästerung des Propheten Mohammed freigesprochen
wurden, war die Empörung zahlreicher Muslime groß. Obwohl ihre
Unschuld zweifelsfrei durch eine Handschriftprobe nachgewiesen werden
konnte, begannen bereits am Samstag früh um 7.30 Uhr die Proteste.
Zunächst ertönten Anschuldigungen über die Lautsprecher einiger
örtlicher Moscheen, kurze Zeit später versammelten sich
extremistische Gruppen. Der aufgewühlte Mob stürmte auf die
Wohnhäuser ihrer christlichen Nachbarn zu und bewarf sie mit
Steinen. Das gleiche Schicksal traf eine Grundschule ebenso wie die
"Aziz Colony Presbyterian Church", eine reformierte Kirche.

Kurz darauf befanden sich Sicherheitskräfte der regionalen Polizei im Einsatz. Die Polizisten versuchten, die mit Knüppeln bewaffnete Menschenmenge durch den Einsatz von Tränengas und Schlagstöcken zu zerstreuen. Dabei wurden 15 Muslime und 3 Polizisten so schwer verletzt, dass sie ins Krankenhaus gebracht werden mussten. Erst vor dem örtlichen Polizeibüro kam die Aktion zu einem Ende. Rund 150 Muslime wurden verhaftet, der übrige Mob zerstreute sich, nachdem die Polizeiführung versicherte, dass alles getan werde, um die wahren Täter der Schmähschrift zu finden.

Die Proteste würden eine Vielzahl von christlichen Familien in der Gegend zur Flucht veranlassen, teilte Timothy Nasir, Leiter des "Faith Theological Seminary" in Gujranwala, gegenüber "Compass" mit. Die Angst vor einem zweiten 1. August sei immer noch sehr präsent. Am 1. August 2009 wurden in der pakistanischen Stadt Gojra, die im gleichen Distrikt liegt wie Gujranwala, sieben Christen bei lebendigem Leib verbrannt, nachdem sich das Gerücht der Gotteslästerung verbreitet hatte.

"Wir leben seit mehr als 125 Jahren friedlich mit den Muslimen zusammen, aber die Umstände, die sich aus den falschen Anschuldigungen gegenüber Mushtaq und seinem Sohn Farrukh erheben, haben die Situation völlig verändert", so Nasir. Rund 3000 christliche Familien würden im Gebiet der Aziz Kolonie, der Gulzar Kolonie, der Islam Kolonie sowie des Khokhardi leben. Viele der Christen hätten bereits darüber nachgedacht, die Gegend zu verlassen und sich eine Zuflucht bei ihren Verwandten in anderen Städten zu suchen. "Es scheint so, dass diese Leute nur Blut wollen… kein normaler Mensch würde auch nur daran denken, den Koran zu schänden oder den islamischen Propheten zu verunglimpfen. Es käme einem Todesurteil gleich, aber das verstehen sie nicht", äußerte Nasir.

Im Fall Gills und Mushtaqs hätten die Christen daher auf den Schutz durch die Polizei gehofft und dieser sei auch gegeben worden. Vermutlich sei dies der erste Zwischenfall dieser Art, bei dem sich die Polizei nicht dem Druck religiöser oder politischer Gruppen beuge, ergänzt Nasir. "Die Blasphemiegesetze in Pakistan werden nicht erst in jüngster Zeit als Vorwand genützt, um Christen falsch anzuklagen und damit persönliche Rechnungen zu begleichen", sagte Daniel Ottenberg, Leiter des Referats für Menschenrechte von Open Doors Deutschland e.V.. "Jeder, der sich auch nur für ein Überdenken der Blasphemiegesetze ausspricht, spielt mit seinem Leben, wie der aufsehenerregende Mord an dem katholischen pakistanischen Minister Shahbaz Bhatti im März dieses Jahres beweist."

Es gibt im Fall Gills und Mushtaqs aber auch Beispiele christlich-muslimischer Verständigungen. So berichtet der Pastor der "Saint Anthony´s Catholic Cathedral" in Lahore, Emanuel Mani, von der hohen Kooperationsbereitschaft der örtlichen muslimischen Leiter und der Verwaltung nach den Randalen, von der er durch seine guten Kontakte wisse. Auch der Polizeichef von Gujranwala, Ghulam Muhammad Dogmar, zeigte Anteilnahme. Er äußerte gegenüber "Compass", dass es den Protestierenden nicht gestattet werden würde, die Christen zu schikanieren. Neben der Einschränkung der Versammlungsfreiheit bei mehr als vier Personen ziehe er den Einsatz weiterer zusätzlicher Sicherheitskräfte zum Schutz der Christengemeinde in diesem Gebiet in Erwägung.

Napolean Qayyum, ein Leiter der regierenden Partei "Pakistan People´s Party Minority Wing" sagte, dass die arretierten Muslime unter den bestehenden Anti-Terrorismus-Gesetzen angeklagt würden. Zudem habe die Regierung Pakistans ebenso wie ihr Präsident Asif Ali Zardari ein Auge auf die Lage in Gujranwala.

Daniel Ottenberg bleibt hingegen skeptisch: "Momentan sieht es nicht nach einer Beruhigung der Lage aus: Die Regierung hat jegliche Reformpläne der Blasphemiegesetze auf Eis gelegt und es ist gut möglich, dass Christen in den nächsten Wochen verstärkt zur Zielscheibe von Angriffen durch Extremisten und Radikale werden." (pro)

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