Unicef-Report: Jugend fühlt sich allein gelassen

Deutsche Jugendliche sehen ihre Zukunft düster und fühlen sich oft allein gelassen. Das zeigt die Unicef-Studie 2010 "Zur Lage der Kinder in Deutschland". Deshalb fordert die Organisation: "Deutschland muss kindgerechter werden."

Von PRO

Im internationalen Vergleich liegt Deutschland laut Unicef im oberen Mittelfeld, wenn es darum geht, eine gute Lebensumwelt für Kinder und Jugendliche zu schaffen. Den ersten Platz belegen die Niederlande, die Bundesrepublik findet sich auf Platz acht von 21 Industriestaaten. Kein Grund zur Zufriedenheit, meint Unicef dennoch und zeigt: Dringender Handlungsbedarf besteht in Deutschland vor allem bei allein erziehenden Müttern. Sie sind seit Jahren besonders stark von materieller Armut betroffen. Besorgnis erregend sei zudem, dass deutsche Jugendliche ihre beruflichen Perspektiven düsterer sehen als ihre Altersgenossen in allen anderen Industrienationen. Sie berichteten häufiger als junge Menschen in anderen Ländern davon, sich allein gelassen und als Außenseiter zu fühlen.

"Du kannst es schaffen!"

"Erwachsene müssen Kindern den Glauben an sich selbst vermitteln, um sie auch für eine unsichere Zukunft zu stärken. ‚Du kannst es schaffen!‘ – das ist die Botschaft, die bei amerikanischen Jugendlichen trotz ungünstigerer Bedingungen ankommt. In Deutschland vermitteln wir vor allem mögliche Gefahren. Nach dem Motto: ‚Pass auf, dass Du nicht scheiterst!’", erklärt der Autor der Studie, Hans Bertram von der Humboldt-Universität Berlin.

Für die am Donnerstag erschienene Studie untersuchten die Autoren Hans Bertram und Steffen Kohl das Wohlbefinden der Kinder in 21 Industrieländern anhand der Dimensionen: materielles Wohlbefinden, Gesundheit und Sicherheit, Bildung und Ausbildung, Beziehungen zu Familie und Gleichaltrigen, Verhaltensrisiken sowie subjektives Wohlbefinden. Dazu nutzten sie unter anderem Daten von Eurostat, OECD, PISA, Weltgesundheitsorganisation, Weltbank und deutschem Mikrozensus.

In der Vorgängerstudie von 2007 hatte Deutschland schlechter abgeschnitten und war im internationalen Vergleich auf Platz elf gelandet. Verbessert hat sich die Situation der Kinder und Jugendlichen in den Dimensionen "Bildung", "Beziehungen zu Gleichaltrigen und Familie" sowie "Verhalten und Risiken". So gebe es etwa messbare Leistungsverbesserungen beim Lesen, in Mathematik und den Naturwissenschaften. Viele Kinder und Jugendliche blicken aber pessimistisch in ihre berufliche Zukunft. Knapp 25 Prozent erwarten laut Unicef, dass sie nach Beendigung der Schule und der Ausbildung nur Arbeiten mit niedriger Qualifikation ausüben werden. In den USA, die im Gesamtvergleich ganz hinten liegen, haben nur 9 Prozent eine so pessimistische Erwartung. Deutschland liegt zeigt hier die negativsten Werte aller untersuchten Industrieländer.

Bewegungsmangel, Übergewicht, Mobbing

Der Alltag vieler Familien in Deutschland wird im Unterschied zu vielen anderen Ländern stark von einer "Verlängerung" der Schule in die Familie bestimmt: Hausaufgaben werden außerhalb der Schulzeit zu Hause erledigt, Eltern oft zu "zwangsverpflichteten Hilfslehrern" – mit entsprechenden Auswirkungen auf die Rollen und die Kommunikation in der Familie. Direkte körperliche Auseinandersetzungen zwischen Kindern und Jugendlichen sind in Deutschland im internationalen Vergleich relativ selten. Allerdings berichteten überdurchschnittlich viele Jungen und Mädchen – jeder dritte – dass sie von anderen drangsaliert oder gemobbt werden. Rund 12 Prozent der Jugendlichen im Alter von 13 und 15 Jahren in Deutschland leiden an Übergewicht und Bewegungsmangel. Obwohl sich der Anteil halbiert hat, liegt der Prozentsatz der rauchenden Kinder immer noch deutlich höher als etwa in Schweden, Norwegen und den USA. Jedes achte Kind gab laut Unicef an, bereits mehrmals betrunken gewesen zu sein.

Anhaltend schwierig ist die materielle Situation vieler Kinder in Deutschland. Von rund 2 Millionen Kindern und Jugendlichen, die mit nur einem Elternteil aufwachsen, müssten 34 Prozent der Haushalte oder fast 700.000 Kinder von weniger als 60 Prozent des durchschnittlichen Haushaltseinkommens leben. Rund 350.000 verfügen sogar über weniger als 50 Prozent. 6 Prozent der Heranwachsenden erleben sich laut Studie als Außenseiter. 11 Prozent der befragten 15-jährigen Schülerinnen und Schüler in Deutschland geben an, sich "unbehaglich und fehl am Platz" zu fühlen. Etwa jeder dritte 15-Jährige sagt, dass er sich "alleine" fühlt. Was die Lebenszufriedenheit angeht, liegt Deutschland auf dem 18. Platz. Erfreulich sei hingegen: Überdurchschnittlich hoch – bei fast 36 Prozent – liegt der Anteil der Kinder in Deutschland, die die Schule "sehr gerne" mögen. (pro)

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