Am politischen Umbruch in der Ukraine sind Christen mit Gottesdiensten, Gebeten und Seelsorge beteiligt. Während sie dabei keine nennenswerten Einschränkungen erfuhren, herrscht Unklarheit über antisemitische Elemente in der ukrainischen Rebellion.
Offene Zukunft: Noch ist unabsehbar, wohin die Proteste in der Ukraine führen
Seit Beginn der politischen Revolte haben Christen ein Zelt auf dem Maidan eingerichtet, dem Unabhängigkeitsplatz in Kiew und Zentrum der Proteste. Dort bieten Pastoren verschiedener protestantischer Gemeinden Seelsorge an und beten für Menschen, die mit ihren Anliegen kommen. Täglich finden Gottesdienste statt, singen Chöre christliche Lieder. Gegen diese Aktivitäten hatte das ukrainische Kulturministerium noch Anfang Januar protestiert.
Wirkliche Einschränkungen erfuhren die Christen jedoch nicht, geschweige denn Bedrohungen oder Angriffe, sagt Viktor Kulbitsch. Der Pastor einer Baptisten-Gemeinde mit 500 Mitgliedern erhofft sich von den Umbrüchen eine „Reinigung des Landes“ von Korruption und Misswirtschaft. Er arbeitet tatkräftig mit: In der kommenden Woche plant Kulbitsch, mit jungen Leuten aus seiner Gemeinde beim Aufräumen auf dem Maidan mitzuhelfen.
Mit besonderem Interesse werden viele Christen die Wahl des Baptisten Alexander Turtschinow zum Übergangspräsidenten zur Kenntnis genommen haben. Der 49-Jährige gilt als Vertrauter Julia Timoschenkos, der früheren Regierungschefin der Ukraine. Mit ihr begründete er die „Vaterland“-Partei. Er ist außerdem Prediger in der Kiewer Baptistengemeinde „Brot des Lebens“. Turtschinow betonte, dass er das Präsidentenamt nur bis zu den geplanten Wahlen im kommenden Mai beibehalten werde.
Gespaltenes Land
Mit Sätzen wie diesen ist auch klar, dass der Umbruch in der Ukraine alles andere als abgeschlossen ist. Das weiß auch Kulbitsch. Aus diesem Grund bittet er um Gebet für eine gute Entwicklung des Landes. Die wirtschaftliche Lage ist desolat, das Land droht in Chaos zu versinken, die Gesellschaft ist gespalten. Auch der Protest pro-russischer Gruppierungen formiert sich. Unter den Protestlern auf dem Maidan sind auch Nationalisten, die vermummt auf dem Maidan verharren und offen skandieren: „Die Ukraine ist nur für die Ukrainer da.“
Explizit antisemitische Töne seien aber nicht zu hören, Übergriffe gegen Juden habe es während der Proteste auch nicht gegeben, sagt Kulbitsch. In dieser Hinsicht ist aber vieles unklar. Berichte über Angriffe auf Juden seitens der Demonstranten gibt es. Womöglich wurden diese aber von der damaligen Staatsmacht organisiert. Sicherheitshalber hat der Kiewer Rabbiner Moshe Reuven Asman den Juden in Kiew am vergangenen Montag geraten, das Land vorerst zu verlassen. Am Donnerstag forderte die israelische Abgeordnete Rina Frenkel, die einst in der Ukraine lebte, den israelischen Premier Benjamin Netanjahu auf, einen Notfallplan für die Aufnahme ukrainischer Juden zu erstellen.
Die etwa 200.000 ukrainischen Juden fürchteten sich weniger vor Antisemitismus als vielmehr – wie die meisten Ukrainer – vor der ungewissen Zukunft des Landes, erklärt der Israeli Schimon Briman, der 1996 aus der Ukraine auswanderte und engen Kontakt zu seinem alten Heimatland pflegt. Der israelischen Tageszeitung Ha’aretz sagt er: „Die gefallene Regierung war nicht antisemitisch, aber so korrupt, dass viele Juden froh sind über deren Sturz. Doch sogar die Nationalisten in der Opposition zeigten, abgesehen von einigen wenigen Vorfällen, keine Anzeichen von Antisemtismus.“ (pro)
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