Den wachsenden Einfluss der Unterhaltungsmedien macht Bauer am zunehmenden Medienkonsum fest. "Wenn wir heute die Sozialisation von Jugendlichen betrachten und den zunehmenden Medienkonsum dagegensetzen – pro Tag neuneinhalb Stunden Fernsehen, Internet und Radio, weniger Tageszeitungen und Bücher – dann steht außer Zweifel, dass der Einfluss der Unterhaltungsmedien insgesamt zugenommen hat. Wir sehen das besonders deutlich bei unseren täglichen Serien, aber ganz klar auch bei Castingshows. All diese Sendungen spielen nach Analyse von Fachleuten aus der Medienwirkungsforschung in der Sozialisation von Jugendlichen eine immer prägendere Rolle." Dabei betrachteten junge Menschen das Unterhaltungsfernsehen wie eine Art topografische Landkarte des Lebens, "mit allen Höhen und Tiefen, mit Enttäuschungen und Erfolgen, mit Liebe und Leid". Diese Karte ermögliche Orientierung und Navigation, wie man sich in konkreten Situationen verhalten könne.
"In der Realität gibt es ja erkennbar eine Wirkungsmacht der Unterhaltungsmedien", sagt Bauer, dessen Firma für Sendungen wie "Deutschland sucht den Superstar" ("DSDS") und "Gute Zeiten Schlechte Zeiten" verantwortlich und deutscher Marktführer im Bereich Film- und Fernsehproduktionen ist. "In dem Maße, in dem die einst gesellschaftlich akzeptierten Institutionen wie die traditionelle Familie, die Kirchen, die Parteien und Gewerkschaften ihre Funktion als gesellschaftliche Anker zunehmend einbüßen und Eltern, Lehrer. Pfarrer und Politiker an Autorität nachlassen, haben sich Heranwachsende neue Vorbilder und Maßstäbe gesucht."
Bohlen, der Anti-Held
"DSDS"-Juror Dieter Bohlen scheint allerdings nicht zu diesen Vorbildern zu gehören: "Viele erschauern bei der Vorstellung, Dieter Bohlen könne das Vorbild ihrer Kinder im Umgang mit Mitmenschen werden", stellt der Ufa-Chef fest. Doch gehe dieser eher eindimensionale erste Reflex an der Realität vorbei. "Die Heranwachsenden sind viel schlauer und differenzierter in ihrer Wahrnehmung, als mancher Erwachsene meint." Nach eigenen Beobachtungen und den Ergebnissen verschiedener Studien gebe es unterschiedliche Arten, auf die Castingshows zu reagieren. "Es gibt die Jugendlichen, die am nächsten Tag die Sprüche von Dieter Bohlen in der Schule unreflektiert wiederholen und sie sich zu eigen machen. Das ist die deutlich kleinste Gruppe." Es gebe mehr Jugendliche, die seine Sprüche als Unterhaltungselement cool fänden, Dieter Bohlen aber niemals als Maßstab eigenen Handelns anerkennen würden. "Und schließlich gibt es die größte Gruppe von Jugendlichen, die nicht einverstanden ist mit der Art und Weise, wie mit einzelnen Kandidaten umgegangen wird." Die jungen Zuschauer wüssten genau, mit welcher Bemerkung Dieter Bohlen zu weit gehe. Dieter Bohlen sei also eine Art Anti-Held, an dem sich die Jugendlichen abarbeiteten und einen eigenen Weg im Umgang miteinander fänden.
Bauer ist sich der entsprechenden Verantwortung der Medien-Macher, Fernseh-Kreativen und Programm-Verantwortlichen bewusst. Sein Unternehmen arbeite an einem "Social-Responsibility-Katalog" und meine damit "einen allgemeingültigen Kodex für das gesamte Unternehmen und für alle Genres, die wir programmlich bedienen". Er möchte aber "ausdrücklich nicht unseren Programmkreativen Rahmen setzen, sie sollen den Kodex vielmehr aus ihrer eigenen Mitte heraus entwickeln". Es werde ein Wertekanon sein müssen, "der ‚lebt‘ und sich mit der Gesellschaft weiterentwickelt. Es bleibt unsere Aufgabe, die Regeln fortwährend zu überprüfen und neu zu priorisieren". Ihm gehe es in erster Linie um gutes und erfolgreiches Entertainment. "Aber wir sehen unsere Verantwortung, die uns daraus erwächst und stellen uns ihr. Wir wollen unseren Blick auf die Wirkung unseres Tuns schärfen." (pro)