Über Glaube, Unterhaltung und „Bild“-Zeitung

Elisabeth Hurth befasst sich seit vielen Jahren mit der Darstellung von Glaubensthemen in Europas auflagenstärkster Zeitung, "Bild". Im Patmos-Verlag ist ihr Buch "Religion im Trend oder Inszenierung für die Quote?" erschienen. pro-Autorin Anna Wirth hat mit Elisabeth Hurth in Wiesbaden gesprochen.
Von PRO

pro: Frau Hurth, Sie haben sich in Ihrem Buch „Religion im Trend oder Inszenierung der Quote?“ schwerpunktmäßig mit der Frage befasst, wie Deutschlands auflagenstärkste Zeitung, „Bild“, über Gott und Glaube schreibt. Wie sind Sie auf das Thema gekommen?

Hurth: Ich habe beim Joggen an einem Kiosk regelmäßig die „Bild“-Schlagzeilen gesehen und dabei festgestellt, dass sie immer religiöser werden. Im März 2001 verfolgte die „Bild“ über Wochen hinweg das Schicksal der verschwundenen Schülerin Ulrike und titelte, als feststand, dass das Mädchen ermordet wurde: „Wo warst du, Gott?“. Diese Schlagzeile trifft jeden und zeigt eine religiöse Gestimmtheit. Wenn eine solche Schlagzeile dazu beiträgt, einen Augenblick an Gott zu denken, ist das schon viel wert. Seit diesem Tag bin ich nicht mehr an der „Bild“ vorbeigerannt, sondern habe mir „Bild“ gekauft…

„Renaissance der Religion zu Lasten des Religiösen“

…und haben sich fortan mit der Frage befasst, wie „Bild“ das Thema Religion aufgreift. Glaubenshemen kommen in „Bild“ sehr häufig vor, Religion wird, wie Sie in Ihrem Buch schreiben, zu einem immer wichtigeren Medienthema. Doch sprechen wir zunächst über allgemeinere Beobachtungen: Würden Sie von einer „Rückkehr der Religion“ sprechen?

Ja, aber die Rückkehr der Religion bedeutet sicherlich nicht, dass Religion in der kirchlich verfassten Form wiederkehrt. Ich würde sogar sagen, dass die Renaissance der Religion zu Lasten des Religiösen geht, denn die modernen Sinnsucher versuchen, ihren Glauben außerhalb der Kirche zu finden. Wer wissen will, was wiederkehrt, sollte zunächst fragen, was nicht wiederkehrt: nämlich der Glaube im Sinne einer existentiellen Entscheidung oder Lebensauffassung. Was wiederkehrt, ist das Interesse an Religionen, das Bedürfnis nach dem Gefühl von Religion.

Warum suchen die Menschen verstärkt nach einem Sinn?

Die Sinnsuche kommt angesichts sozialpsychologischer Entwicklungen wieder. Im Zuge der Globalisierung meinen viele Menschen, sie seien nichts mehr wert, seien ersetzbar, privat wie beruflich. Sie fragen sich, was der eigene Beitrag überhaupt noch wert ist, es fällt Menschen schwerer, sich im Beruf zu behaupten. Anderen fällt es immer schwerer, ihre eigene Identität angesichts einer Vielzahl von Angeboten auszuhandeln. Das sind Herausforderungen, die Unsicherheiten und Verunsicherungen schaffen und Fragen nach dem Sinn des Lebens aufbrechen lassen.

Und Religion gibt eine Antwort auf die Sinnfrage?

Ja. Die Frage ist, was Leute bei der Religion wirklich abrufen. Ich glaube, viele Leute suchen ein Gefühl des Geborgenseins, ein Gefühl der Ruhe, vielleicht Orientierung. Sie machen sich den Glauben aber nicht so zu Eigen, dass er ein gestaltendes Element des Lebens wird und den Alltag bestimmt. In diesem Sinne ist Religion bei den meisten Sinnsuchern nicht vertreten. Was man sucht, ist zum Beispiel ein Event wie der Weltjugendtag, eine kurzlebige Stimmung, eine Teilhabe an großen Gefühlen, eine Auszeit vom Alltag. Aber Religion, die gerade im Alltag wirkt und dem Leben täglich Form gibt, ist nicht umfassend gefragt.

In diesem Zusammenhang wird immer wieder von einer „Patchworkreligion“ gesprochen…

…was sich gut an der „Bild“-Zeitung festmachen lässt. „Bild“ verkauft sich einerseits als Apologetin der christlichen Religion, als Hüterin des christlichen Glaubens. Andererseits geht sie so vor, dass sie in einer Ausgabe die christliche Erlösungsbotschaft darstellt und in der nächsten Ausgabe die Friedensbotschaft des Dalai Lama oder ein Mondhoroskop. Aus diesem ganzen Angebot kann sich der Leser dann seine religiöse Identität zusammenbasteln.

Natürlich kommen christliche Glaubensthemen zumal in „Bild“ im Kontext von nicht-christlichen Geschichten, die eben zur Lebenswirklichkeit ihrer Leser gehören. Ist das nicht auch eine Art der Verkündigung?

Ich glaube nicht, dass die „Bild“-Zeitung den Glauben des Einzelnen in seinem privaten Leben stärken kann. Aber die „Bild“ kann über den Glauben informieren. „Bild“ wird niemals eine Gemeinde vor Ort ersetzen können. Wenn jemand die „Bild“-Zeitung liest und dort ein religiöses Vorbild findet, wie etwa den Fußballstar Heiko Herrlich, der in „Bild“ verkündet: „Ich danke Gott für seine Hilfe, weil er mich von meinem Gehirntumor befreit hat“, dann wird dieser Star so etwas wie Gottvertrauen spürbar werden lassen, aber nicht in dem Sinne, dass der Einzelne, der das liest, auch wirklich bereit ist, Gott in seinem Leben einen Platz zu geben.

„Bild“ will auch Glaubensvermittlerin sein

Ganz sicher kann und will „Bild“ keine Predigt in der Gemeinde ersetzen. „Bild“ ist zudem kein Gemeindebrief oder Missionsblatt.

Da stimme ich Ihnen zu. Aber die „Bild“-Zeitung nimmt für sich schon eine Glaubensvermittlerinstanz in Anspruch, indem sie der Kirche auch eine Plattform bietet, ihre Botschaften zu verkünden. Wenn das im Kontext von Alltagsgeschichten geschieht, relativiert sich dieses religiöse Angebot wieder. Ich frage mich immer wieder, wie Glaubensthemen in „Bild“ von den Lesern tatsächlich rezipiert werden. Das habe ich aber nicht untersucht.

Sie sagen einerseits, dass die „Bild“-Zeitung über den christlichen Glauben informieren kann. Zugleich kritisieren Sie, dass sich in „Bild“ Glaubensthemen relativieren. Wie passt das zusammen?

Ich würde sagen, der „Bild“-Zeitung geht es vor allem darum, Religion unterhaltsam zu vermitteln, dabei bleiben Informationen auf der Strecke. Zu Ostern dieses Jahres etwa brachte „Bild“ den „Jesus-Krimi“. Das fand ich auf den ersten Blick ganz interessant, weil die Schlagzeile Leser neugierig macht. Dann schreibt „Bild“ aber: „Ostern wichtigstes Fest der Christenheit: Verhaftung, Ermordung und Auferstehung von Jesus Christus. Hinter den heiligen Texten steckt ein Krimi voller Hochspannung, ein dramatisches Komplott“. Was dann folgt, ist eine Gewaltszenerie, die mich ein wenig an Mel Gibsons „Passion“ erinnert hat. Der Leser bekommt hier Informationen über die Kreuzigung, aber zugleich so, dass daraus eine Actionstory wird. Dabei, meine ich, bleibt die Sachinformation auf der Strecke. Religion kann nicht immer im Gewand von Unterhaltung  präsentiert werden. _____________________________________

Das ganze Interview mit Elisabeth Hurth lesen Sie in der aktuellen Ausgabe des Christlichen Medienmagazins pro. Bestellen Sie die pro einfach kostenlos per Telefon (06441) 915 151 oder E-Mail an info@pro-medienmagazin.de

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