„Tyrannei der Frommen“ in Ägypten

Sie müssen sich heimlich treffen. Für das ägyptische Gesetz sind sie verdächtig, für die ägyptische Gesellschaft verrückt. Die Rede ist von den Atheisten, die es in dem durch und durch religiösen afrikanischen Land schwer haben. Eine Redakteurin der Süddeutschen Zeitung hat einige von ihnen begleitet.
Von PRO
Viele Ägypter hatten sich vom Sturz des Mubarak-Regimes eine Besserung erhofft: aber interessanterweise leiden vor allem Atheisten unter den neuen Bedingungen. Die Süddeutsche Zeitung hat einige von ihnen begleitet

Die Medien berichten oft von verfolgten Christen und ihrem Schicksal. Das Beispiel der Atheisten in Ägypten beweist, dass auch andere Weltanschauungen gefährdet und bedroht sind. Tom ist einer der ägyptischen Atheisten, der sich häufig mit atheistischen Freunden in Bibliotheken trifft, weil sie dort ungestört „über alles reden können“. Dass er hier nur wenige Bücher zum Atheismus findet, ärgert ihn. Tom sieht dies als „Tyrannei der Frommen“. Für sein Leben als Atheist brauche er sich nicht zu rechtfertigen, eher sollten „die anderen erst einmal nachweisen, dass es einen Gott gibt“. Er vermisst Reform im Islam. Vor allem dessen Fanatismus stört ihn gewaltig.

„Religiöse noch penetranter“

Tom selbst war sehr religiöser Moslem, bis ihm Zweifel kamen, warum Gott in manchen Situationen nicht eingriff. Nach dem Ende der Mubarak-Herrschaft habe er Hoffnung geschöpft, doch die „Religiösen wurden – aufgehetzt von frömmelnden Scheichs – noch penetranter: Eine Religion, die sich für so etwas missbrauchen lässt, taugt nichts“, zitiert ihn die Süddeutsche Zeitung.
Tom möchte in Kürze „Die Gesellschaft der Ungläubigen“ gründen. Auf seiner Facebook-Seite diskutieren über 6.000 seiner Anhänger über atheistische Themen. Berechnungen des Gallup-Institutes zufolge rechnen sich 100 Prozent der 90 Millionen Ägypter einer Religion zu. Andere Zahlen gehen aber von 2 Millionen Atheisten aus. Als vor kurzem tatsächlich ein Atheist im Fernsehen öffentlich seine Meinung kundtat, habe das Publikum ihn „niedergeschrieen“.

Genauso käuflich und korrupt

Aus Sicht des Politologen Hassan Nafaa hätten sich die meisten Ägypter mit dem Ende des Mubarak-Regimes eine Besserung erhofft, „aber diese waren genauso käuflich und korrupt“ wie ihre Vorgänger. Nachdem der Atheismus eine Sache der Intellektuellen gewesen sei, habe er jetzt aber die Mittelschicht erreicht.
In der Innenstadt Kairos trifft sich immer dienstags ein Atheisten-Stammtisch. Eine der Besucherinnen erklärt ihre aktuelle Gemütslage: „Endlich kann ich frei atmen, endlich handle ich nur noch nach meinen eigenen Überzeugungen, nicht mehr aus Furcht vor der Hölle.“ Für die Süddeutsche-Autorin Sonja Zekri, stehe hinter dieser Aussage die „Wut einer Generation, die an den Konventionen erstickt“.

Muslime lieber als Atheisten

Die muslimischen Geistlichen argumentierten gegenüber den Atheisten, dass Gott in seiner Freiheit nicht immer zu verstehen sei. Doch dies funktioniere im Zeitalter der Medien wie Twitter und Wikipedia nicht mehr, entgegnen die Atheisten. Die koptischen und islamischen Geistlichen würden das ägyptische System verteidigen, weil die jeweils andere Religion akzeptabler sei als gar keine: „Sie schließen sich zusammen gegen uns“, betont der Ägypter Milad Suleiman. Eine Gruppe von Atheisten scheiterte mit dem Antrag, den zweiten Artikel in der Verfassung abzuschaffen, „der die Rechtsprechung auf die Prinzipien der Scharia zurückführt“.
Aktuell konkurrieren in Ägypten viele Geistliche um die Deutungshoheit. Gemeinsam mit der Regierung reguliere die Ashar-Führung das religiöse Leben wie selten zuvor, auch weil die Missionierung durch „radikale Selfmade-Scheichs“ bald ein Ende haben soll. Allerdings warnen Kritiker davor, dass dies zu einer „Verschmelzung von Nation und Glauben“ führe. Dies würde, so das Fazit des Süddeutschen-Artikels, die Atheisten zu doppelten Außenseitern machen. (pro)

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