Twittern in der Schule – Gewinn oder Gefahr?

"Cooler" als Schulbücher: An einer französischen Schule lernen Grundschulkinder lesen und schreiben mit dem Kurznachrichtendienst "Twitter". Unterdessen warnen  Experten vor einem Verfall der Sprachkompetenz.
Von PRO

Seit September setzt die Lehrerin Celine Lamare in einer Grundschule in der nordfranzösischen Stadt Seclin Twitter im Deutsch-Unterricht ein. Statt der schwarzen Tafel schaltet sie morgens einen großen Bildschirm an, auf dem die Leseanfänger die Kurznachrichten, so genannte "Tweets", anderer Schulklassen lesen, beschreibt das Magazin "Focus Schule" den Unterricht an der Privatschule. Die Schüler schreiben ihre Antworten zuerst ins Heft, wo sie dann korrigiert werden. Erst danach dürfen die Kurznachrichten veröffentlicht werden.

"Die 140 Zeichen bei Twitter passen gut zu ihrer Lernstufe", erklärt die Lehrerin. Durch den Austausch mit anderen Schülern bekomme die Übung einen zusätzlichen Sinn. "Man kann mit anderen Klassen reden, also strengt man sich mehr an", beschreibt es Valentine, eine Schülerin. Celine Lamare hat keine Angst, dass der Bildschirm die Kinder vom Lernen ablenke. Im Gegenteil: "Wenn sie keinen Bildschirm vor sich haben, hören sie nicht zu." Die Zweitklässler kennen sich so gut am Computer aus, dass sie zuhause Fotos auf einen USB-Stick laden und in die Schule mitbringen, um sie über Twitter zu verschicken.

Neue Diskussionsformen fördern

In Deutschland wird Twitter bisher hauptsächlich im Unterricht der Sekundarstufe eins eingesetzt. Auf der Onlineplattform "Lehrer Online" oder dem "Zum-Wiki", einer Internetplattform für Lehrinhalte, gibt es zahlreiche Beispiele, wie man Twitter in den jeweiligen Unterrichtsfächern einsetzen kann. Dabei ist Twitter gar kein typisches Jugendmedium. Heranwachsende nutzen eher Chatprogramme oder treffen sich in Online-Communities wie Facebook oder SchülerVZ.

Der Internetdienst eigne sich gut dafür, Schüler für neue Diskussionsformen zu gewinnen, schreibt Tomasz Kurianowicz in dem Artikel "Twitter-Unterricht". In dem Beitrag in der Wochenzeitung "Die Zeit" berichtet der Medienpädagoge Eike Rösch von einem Geschichtslehrer, der mit Twitter in seiner Klasse die Kuba-Krise durchgespielt habe. "Die eine Gruppe twitterte im Namen der Kubaner, die andere vertrat die Positionen der Amerikaner. Und so schaukelte sich die Situation von Tweet zu Tweet hoch – bis zur historischen Klimax." Laut Rösch bleiben die Geschichtsereignisse auf diese Weise stärker im Gedächtnis haften. Die Schüler profitierten von einem interessanten und abwechslungsreichen Unterricht.

"Fetzenliteratur" gefährdet Sprachkompetenz


Derartige Tendenzen dürften dem Vorsitzenden des deutschen Rechtschreib-Rates, Hans Zehetmair, Sorge bereiten. Statt Briefen, schrieben junge Leute nur noch "HDL" – "Hab Dich lieb", bemängelte er im Gespräch mit der Nachrichtenagentur dpa. Diese "Fetzenliteratur", wie er die Abkürzungen in SMS und Chat, aber auch Twitter-Nachrichten bezeichnet, gefährde die Sprachkompetenz ganzer Generationen. "Wir sind weltweit in zivilisatorischen Gesellschaften auf dem gefährlichen Weg, dass immer weniger gelesen, immer mehr Fetzenliteratur gepflegt, immer weniger geschrieben wird", sagte er gegenüber dpa. Auch die Schule komme ihrem Bildungsauftrag in dem Bereich nur begrenzt nach.

Hochschullehrer beklagten vor allem die mangelhafte sprachliche Qualität von Diplom-, Magister- oder Bachelorarbeiten. "Man nimmt sich kaum noch die Zeit, ganze Sätze zu formulieren", klagt Zehetmair. Nach Angaben von Linguisten müssten rund 20 Prozent der 15-Jährigen heute als Analphabeten bezeichnet werden. (pro/dpa)

http://www.focus.de/schule/schule/unterricht/ausland/frankreich-lesenlernen-mit-twitter_aid_698812.html
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