Türkische Regierung entlässt Religionswächter

Der oberste türkische Religionswächter Ali Bardakoglu muss überraschend sein Amt aufgeben. Bardakoglu sei nach Auseinandersetzungen mit der islamisch-konservativen Regierung entlassen worden, berichtete die Zeitung "Milliyet" am Donnerstag. Der Sprecher für Menschenrechte der Weltweiten Evangelischen Allianz, Thomas Schirrmacher, kritisierte gegenüber pro die Entlassung.
Von PRO

"Direkt nach Erscheinen des Fortschrittsberichts der EU zur Türkei, der sehr deutlich anmahnt, endlich Schritte Richtung Religionsfreiheit zu unternehmen, macht die türkische Regierung klar, dass selbst der türkische Staatsislam und seine obersten Repräsentanten in der Türkei nicht frei sind, sondern als verlängerter Arm des Staates verstanden werden", kommentierte Schirrmacher, der auch Direktor des Internationalen Instituts für Religionsfreiheit ist, die Entscheidung. Die Entlassung sei ein Baustein unter vielen, der zeige, dass die jetzige Regierungspartei, die anfänglich durchaus auch positive Entwicklungen angestoßen habe, "dabei ist, Stück für Stück ihre Form des Islam zum Maßstab für das Alltagsleben der ganzen Gesellschaft zu machen". Und das betreffe vor allem die religiösen Minderheiten, die islamischen ebenso wie die christlichen.

Bardakoglu war seit 2003 Chef des türkischen Religionsministeriums und damit oberste islamische Autorität, verantwortlich für die 80.000 türkischen Moscheen und ein Jahresbudget von 1,2 Milliarden Euro. In einem ausführlichen Porträt in der jüngsten Ausgabe des evangelischen Magazins "Chrismon" wurde er als weltgewandter Theologe beschrieben, der als liberal gelte.

Nachfolger an der Spitze der türkischen Religionsbehörde (Diyanet) soll der bisherige Vizechef Mehmet Görmez werden. Die Diyanet ist nicht nur für die Muslime in der Türkei zuständig, sondern auch für rund vier Millionen türkischstämmige Muslime im Ausland. Dazu wurden in 40 Ländern Ableger gegründet. In Deutschland ist es die Türkisch-Islamische Union der Anstalt für Religion, kurz: Ditib, der laut Chrismon in Deutschland etwa 900 Moscheen unterstehen; darunter das bislang größte muslimische Gotteshaus, 2008 in Duisburg eröffnet, sowie der umstrittene Neubau in Köln.

"Milliyet" schrieb, Bardakoglu habe der Regierung im Kopftuch-Streit eine klare Position verweigert, indem er erklärte, das Kopftuch sei für muslimische Frauen keine religiöse Pflicht, sondern eine persönliche Entscheidung. Der türkische Staatsminister Faruk Celik bestritt, dass Bardakoglu entlassen worden sei. Die Regierung habe ihn immer mit Respekt behandelt. Allerdings kündigte er dem Zeitungsbericht zufolge "radikale Veränderungen" in der Behörde an. Die laizistische Opposition wirft der Regierung von Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan vor, eine schleichende Islamisierung der Türkei zu betreiben. (pro/dpa)

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