Türkische Armee in Christenmorde verwickelt?

In der Türkei sind Angehörige der Armee festgenommen worden, weil sie in Verbindung zu den Malatya-Morden aus dem Jahr 2007 stehen sollen. In der gleichnamigen Stadt waren damals drei Mitarbeiter eines christlichen Verlages brutal getötet worden. Ein Anwalt der Opferfamilien, Orhan Kemal Cengiz, erklärte auf Anfrage von pro, dass er eine nationalistische Verschwörung hinter der Tat vermutet.

Von PRO

Ganze 32 Anhörungen hat es bereits im Prozess um die getöteten Christen in Malatya gegeben. Das Verfahren dauert mittlerweile über drei Jahre und je länger es läuft, desto tieferen Einblick erhalten die Beteiligten in die Abgründe, die sich hinter der Tat zu verbergen scheinen. Hatten die mutmaßlichen Täter zunächst den Eindruck erweckt, islamistische Hintergründe zu haben, so kommt mehr und mehr ans Tageslicht, dass es sich bei den Malatya-Morden um eine Tat nationalistischer Extremisten handeln könnte, die sogar mit der Armee zusammengearbeitet haben.

Wie der Menschenrechtsanwalt Cengiz gegenüber pro bestätigte, sind in der vergangenen Woche neue Verdächtige im Fall Malatya festgenommen worden. Unter ihnen sind Armee-Angehörige, unter anderem ein Mitarbeiter der türkischen Gendarmerie, des militärischen Armes der Polizei. Cengiz erklärte weiter, er sehe es als höchst wahrscheinlich an, dass die Gendarmerie in Malatya bereits im Vorfeld der Tat von den geplanten Morden gewusst habe. So sei mittlerweile erwiesen, dass die Behörde die Christen rund um die Uhr überwacht habe, weil sie als Missionare und damit als potentiell gefährlich für den Staat galten. "Dass sie unter diesen Umständen nichts von den Plänen der Mörder mitbekommen haben, ist unwahrscheinlich", sagte Cengiz. Denn diese hatten sich über einen langen Zeitraum hinweg Zugang zum Verlag verschafft und sich das Vertrauen der Christen erschlichen.

Eine riesige nationalistische Verschwörung?

Der Anwalt vermutet, dass ein Netzwerk radikaler Nationalisten hinter den Morden steckt. Die Täter könnten absichtlich dafür gesorgt haben, dass die Morde islamistisch motiviert erschienen, um die Regierung unter Ministerpräsident Recep Tayyip Erdoğan zu schwächen und einen Putsch vorzubereiten. Der Politiker gilt als religiöser Hardliner. Vielen Nationalisten ist seine Orientierung ein Dorn im Auge, weil sie den Staat durch einen zunehmenden Einfluss des Islam geschwächt sehen.

Andere Stimmen behaupten, die aktuelle Festnahme sei eine Schikane der Regierung selbst. Wolfgang Häde, Schwager des Malatya-Opfers Necati Aydin, erklärte gegenüber pro, gerade in der letzten Zeit sei in der Öffentlichkeit auch der Verdacht aufgekommen, regierungsnahe Kreise versuchten mit Festnahmen wie den jüngsten, die nationalistische Opposition zu schwächen. Der "Spiegel" berichtet unterdessen von Verhaftungen regierungskritischer Journalisten. Hunderte Politiker, Professoren und Offiziere seien in der Vergangenheit festgenommen worden, weil sie verdächtigt würden, zu einer nationalistischen Verschwörung zu gehören.

Auch nach drei Jahren ist im Malatya-Prozess noch vieles unklar. "Wenn es so weitergeht, kann sich das Verfahren noch Jahre hinziehen", sagte Anwalt Cengiz. Letztendlich sei das aber nicht wichtig. Es zähle nur, dass die Taten aufgeklärt würden. Viele glauben, die Anwälte näherten sich der Wahrheit immerhin spürbar an, so auch Wolfgang Häde: "Es gab Hinweise auf Verbindungen zur Gendarmerie. Das ließ sich aus Aussagen der Täter und aus Aufzeichnungen über ihre Handygespräche vermuten. Durch die jüngsten Festnahmen scheint sich das bestätigt zu haben." (pro)

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