Trost zwischen Blaulicht und Blutkonserven

Am Montag sind 18 Menschen bei einem tragischen Verkehrsunfall ums Leben gekommen. Im Gespräch mit pro schildert ein Notfallseelsorger und Pfarrer, wie Hilfe in menschlichen Grenzsituationen aussieht.
Von Norbert Schäfer
Andreas Mann ist Notfallseelsorge-Beauftragter der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau (EKHN)

Bei einem Busunglück auf der Autobahn A9 in Richtung Süden sind am Montag 18 Menschen in einem Flammeninferno ums Leben gekommen. Die Situation der Hilflosigkeit sei für die ehrenamtlichen Feuerwehrleute extrem hart gewesen, erklärte Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU). Bereits an Unglücksorten helfen Notfallseelsorger Unfallopfern und Einsatzkräften, die schrecklichen Erlebnisse zu verarbeiten.

Im Gespräch mit pro schildert der Beauftragte für Notfallseelsorge der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau (EKHN), Pfarrer Andreas Mann, wie er und seine Kollegen Menschen in Unglückssituationen begleiten.

pro: Herr Mann, wie verläuft ein Einsatz eines Notfallseelsorgers?

Andreas Mann: Wenn bei einem Einsatz der Rettungskräfte oder der Polizei ein Bedarf an Betreuung festgestellt wird, werden die Diensthabenden der Notfallseelsorge über ein Meldesystem der jeweiligen Leitstelle informiert. Sie machen sich auf den Weg zur Einsatzstelle und sind dann etwa nach 30 Minuten vor Ort.

Was passiert dann am Einsatzort?

Das hängt natürlich immer vom jeweiligen Einsatz ab. Es kann sein, dass es sich um einen Selbstmord oder um den plötzlichen Tod eines Menschen handelt. Es kann aber auch ein schrecklicher Unfall, wie jetzt auf der Autobahn A9, sein. Der auslösende Faktor ist für uns nie ganz klar. Wir müssen dann vor Ort schauen, welche Kontaktperson für uns ansprechbar ist, wer Betroffener ist und wer begleitet werden soll. Für uns ist es ganz wichtig, genau hinzuhören und hinzuschauen, was notwendig ist.

Wie gehen Sie dann vor?

Vor Ort bergen Feuerwehrleute die Opfer. Die Schwerverletzten werden von den Rettungsdiensten medizinisch versorgt. Die Notfallseelsorger kümmern sich in erster Linie um traumatisierte Menschen bei den Unglücksfällen. Das sind meist Opfer, können aber auch Helfer sein. Wir bemühen uns, die Lage zu stabilisieren. Die Personen werden zunächst einmal weg von der Unfallstelle gebracht. Überlebenden und Opfern soll der permanente Blick auf das schreckliche Szenario erspart werden. Also weg von den Blaulichtern, den Einsatzfahrzeugen, den Verletzten und Toten. Der Anblick des Unfallortes kann neben dem Erlebten zusätzlich schockierend wirken. Die Menschen sollen dann in erster Linie spüren, dass sie nicht alleine sind, dass sich jemand um sie kümmert.

Wie bereiten Sie die Ehrenamtlichen auf diese extremen Situationen vor?

Unsere Ehrenamtlichen werden geschult. Insgesamt haben wir beim Aufbau der Seelsorge eine 25-jährige Entwicklung hinter uns. 1993 ist in Wiesbaden das erste hessische System an den Start gegangen. Mittlerweile gibt es bundesweite Ausbildungsstandards, die auch mit den säkularen Krisen-Interventionsdiensten abgestimmt sind. In 80 Unterrichtseinheiten werden die Teilnehmer geschult und auf den Dienst vorbereitet, behutsam an die Praxis herangeführt. Die Situation vor Ort lässt sich allerdings kaum vorhersehen und ist immer speziell.

Wie reagieren Menschen in solchen Grenzsituationen? Hören Sie den Vorwurf: „Warum hat Gott das zugelassen?“

In solchen Situationen spielen immer auch Sinn, Logik und Verstehen eine wichtige Rolle. Bei Unglücken werden immer auch Glaubenssysteme angesprochen. Die Betroffenen versuchen in irgendeiner Form, Sinn in die Sache zu bekommen. Dass dann solche existenziellen Fragen aufbrechen, ist eine ganz normale Situation. Ich würde das nicht als Vorwurf auffassen.

Wie gehen Sie mit dem Erlebten um?

Wir werden ja nie zu erfreulichen Ereignissen gerufen. Die Bilder und die Betroffenheit sollen und dürfen nicht zum Problem werden. Von daher ist die Be- und Nachbearbeitung von solchen Einsätzen eminent wichtig und durch eine Supervision gewährleistet. Manchmal ist es auch gut, gleich vor Ort mit Kollegen darüber zu reden. Eine kontinuierliche Fortbildung in Teams hilft enorm dabei, die Dinge im Griff zu behalten. Eine stabile Familie ist für mich auch wichtig. Im Einsatz selbst versuche ich auch auf die Kollegen der Feuerwehr, der Polizei und des Sanitätsdienstes zu achten. Ihnen auf die Schulter zu klopfen. Das kann aber da nur ein aufmunterndes Unterstützen sein. Wir müssen ja alle unsere Aufgaben bewältigen. Alles darüber hinaus wäre für den Ablauf am Unfallort kontraproduktiv. Jede Notfallhilfeorganisation hat aber nach dem Einsatz eine Fürsorgepflicht für ihre Kräfte: egal ob das eine kirchliche Organisation ist oder nicht.

Hilft Ihr Glaube bei der Verarbeitung?

Ja. Sowohl für mich als Seelsorger, aber auch für Klienten ist es wichtig, Gott als zentrale Instanz zu haben, bei dem wir das alles abgeben können, etwa im persönlichen Gebet. In dem Wissen konnte ich mich die vergangenen 25 Jahre getragen fühlen. Wir können das Gebet den einzelnen Mitgliedern der Notfallteams aber nicht vorschreiben.

Bekommen Sie Rückmeldungen von Ihren Klienten?

Einer der am meisten motivierenden Eindrücke ist in der Tat, dass wir Rückmeldungen bekommen. Wir bekommen dann klar und deutlich gesagt, ob wir hilfreich waren oder nicht. Das sorgt für Zufriedenheit. Meist sind die Menschen sehr dankbar und sie drücken das auch aus.

Gab es Momente, wo Sie an ihre Grenzen gestoßen sind?

Gott sei Dank haben die Erlebnisse noch nie dazu geführt, dass ich den Einsatz abbrechen musste. Die Bilder eines Totschlag-Deliktes an zwei kleinen Kindern und einer Kollegin, die sich umgebracht hat, gehen mir dann und wann noch nach. Es gibt aber Ausnahmen, in denen ich den Einsatz ablehnen würde. Etwa, wenn ich zu eigenen Verwandten geschickt würde.

Wie ist die Notfallseelsorge organisiert?

In unserer Landeskirche, der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau, haben wir ein Netz von circa 600 Freiwilligen und Ehrenamtlichen, die sich in 24 Gruppen engagieren. Diese sind den einzelnen Landkreisen und kreisfreien Städten zugeordnet. Notfall-Seelsorger in den Großstädten werden zwischen 120-150 Mal im Jahr zu Einsätzen gerufen. Auf dem Land, wo die Sozialstrukturen auch noch besser funktionieren, sind die Zahlen etwas geringer.

Vielen Dank für das Gespräch.

Die Fragen stellte Norbert Schäfer.

Hintergrund

Der Bus einer Reisegruppe, hauptsächlich Senioren aus Sachsen und Brandenburg, ist am Montag auf dem Weg zum Gardasee in der Nähe von Münchberg auf einen LKW aufgefahren. Der Bus ging in Flammen auf und brannte vollkommen aus. 30 Menschen konnten das Fahrzeug rechtzeitig verlassen. 18 Menschen starben in dem Flammeninferno, darunter einer der beiden Fahrer. Die Rettungskräfte, die in kurzer Zeit die Unfallstelle erreichten, waren wegen der enormen Hitzeentwicklung durch den Brand machtlos. Die Feuerwehrleute konnten nicht bis zum brennenden Bus vordringen. (pro)

Von: nob

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