Transsexualität nicht mehr als „mentale Störung“ klassifiziert

Transsexualität soll laut der Weltgesundheitsorganisation künftig nicht mehr als „mentale Störung“ gelten, sondern als „Zustand in Bezug auf die sexuelle Gesundheit“. Betroffene sollen damit weniger Stigmatisierung erleben. Trans-Verbände jubeln – zu Recht?
Von Nicolai Franz
Die Weltgesundheitsorganisation besteht seit 1948

Transsexuelle gelten in der neuen Klassifikation von der Weltgesundheitsorgation (WHO) nicht mehr als mental krank. Stattdessen listet die Neuauflage des Systems, kurz ICD-11, sie in den Bereich der „Zustände in Bezug auf die sexuelle Gesundheit“.

Transsexuelle Menschen empfinden sich mit ihrem biologischen Geschlecht unwohl und wünschen sich häufig medizinische Maßnahmen wie Hormontherapien oder Operationen, um ihre äußerlichen Geschlechtsmerkmale zu ändern. Transgender-Menschen hingegen wünschen keine körperlichen Veränderungen. Die WHO nennt das Empfinden, dass körperliche Merkmale nicht mit den gefühlten zusammen passen, „Geschlechtsinkongruenz“.

Mit der neuen Klassifikation will die Organisation die „Stigmatisierung Transsexueller“ reduzieren. Außerdem möchte sie der Erkenntnis Rechnung tragen, dass es sich nicht um eine Geisteskrankheit handelt, erklärte Lale Say, Koordinatorin für das WHO-Team für junge Erwachsene und gefährdete Bevölkerungsgruppen.

Verbände wie „Transgender Europe“ etwa lobten den Schritt als „historische Errungenschaft“, auf die die Aktivisten seit Jahren hingearbeitet hätten. Dies lege das „Fundament für eine neue Ära der Wiedergutmachung und des Feierns von Vielfalt“. Die Organisation hoffe, dass diese Entscheidung zur Unterstützung führe und die „lange Geschichte von sogenannten ,Umformungstherapien‘“ ein Ende habe.

„Wir geben keine Empfehlung zur Lebensführung ab“

Hingegen will die WHO ihre neue Einteilung nicht als Empfehlung für eine bestimmte Therapie verstanden wissen. Der Zweck der ICD sei lediglich, Krankheiten und andere medizinische Zustände und Phänomene zu beschreiben und einzuteilen. „Wir geben keine Empfehlung zur Lebensführung oder zu einer Behandlung ab“, sagte Thomas Jakob gegenüber pro. Er ist bei der WHO zuständig für die Klassifizierungsterminologie und Standards. „Man hat keinen klaren Hinweis darauf, ob bei Transsexualität eine Fehlfunktion des Körpers oder eine Fehlfunktion der Psyche vorliege.“ Die WHO wolle damit nur sagen, dass jemand, der sich im falschen Körper fühle, nicht geisteskrank ist.

Im Kapitel „Zustand in Bezug auf die sexuelle Gesundheit“ findet sich auch der Punkt „Paraphilie-Störungen“. Darunter fallen zum Beispiel Pädophilie, Voyeurismus und Exhibitionismus. Dies sei aber nur ein Querverweis und daher grau hinterlegt, gab Jakob an. Dieser Punkt sei weiterhin unter den mentalen Störungen gelistet.

Enttäuscht zeigte sich die „Aktion Transsexualität und Menschenrecht“: Geändert habe sich für die Betroffenen kaum etwas. Die Diagnostik bleibe weiterhin in der Hand von Fachpsychiatrien.

Die 11. Version der ICD wurde am 18. Juni der Öffentlichkeit vorgestellt. Die Weltgesundheitsversammlung soll darüber 2019 entscheiden, bevor sie 2022 in Kraft treten soll.

Von: Nicolai Franz

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