„Tradwife-Sex“ – der neue Social-Media-Trend?

Der angebliche „Tradwife“-Trend in sozialen Medien macht schon länger die Runde. Jetzt sollen auch deutsche Influencerinnen ein frauenfeindliches Bild namens „Tradwife-Sex“ bewerben. Ist das wirklich so? PRO klärt die wichtigsten Fragen.
Von Swanhild Brenneke
Hausfrau, 50er Jahre, Kuchen

Eine Art christliche Ehe- und Familienberatung boomt bei Social Media – das schrieb zumindest „Welt“-Autorin Hannah Lühmann kürzlich in einem Artikel für ihre Zeitung. Dabei verbreiteten deutsche christliche Influencerinnen konservative Auffassungen des Ehelebens, die aus dem amerikanischen evangelikalen Umfeld entstammten. Lühmann nennt das ganze „Tradwife-Sex“. Auf deutschen Social-Media-Kanälen würden diese sehr konservativen Lebensvorstellungen für das Eheleben als „nette Denkanstöße“ dargestellt. Es gehe dabei immer um die Unterordnung der Frau unter den Mann. Und darum, dass die Frau die sexuellen Bedürfnisse ihres Mannes zu erfüllen habe – jederzeit.

Lühmann schreibt, Influencerinnen beriefen sich dabei auf verschiedene Bibelstellen. Ist das Thema wirklich ein neuer Trend unter deutschen christlichen Influencerinnen? Bewerben Christen in den sozialen Medien in großer Zahl ein frauenfeindliches Verständnis von Sexualität? PRO klärt die wichtigsten Fragen.

Was bedeuten die Begriffe „Tradwife“ und „Tradwife-Sex“?

Der englische Begriff „Tradwife“ beschreibt eine Frau, die sich bewusst für ein traditionelles Rollenbild als Hausfrau und Mutter entscheidet. Der Begriff ist die Kurzform für das Englische „traditional wife“, also „traditionelle Ehefrau“. Er ist ein Neologismus und kam um 2010 zunächst in den USA in den sozialen Medien auf. Die Frauen präsentierten sich dort als Hausfrauen. Erst in den 2020ern wurde der Begriff auch in Europa bekannter. Die Werte, die diese Frauen vertreten, sind konservativ. Die Familie ist oft eine Kleinfamilie und die Partnerschaft heterosexuell.

Als „Tradwife-Sex“ bezeichnete „Welt“-Autorin Hannah Lühmann eine Sexualität in der Partnerschaft, die ganz auf die Erfüllung der Wünsche des Mannes abzielt. „Tradwife-Sex“ geht nach Lühmanns Darstellung davon aus, dass Sexualität das eine Urbedürfnis des Mannes ist. Die Frau sei wiederum dafür verantwortlich, seine Bedürfnisse zu erfüllen. Sie dürfe sich ihm zum Beispiel nicht entziehen, wenn er Lust auf Sex verspüre – auch wenn es ihr anders geht.

Tradwives, Tradwife Foto: Documerica/Unsplash
Kochen, backen, putzen: Bei „Tradwives“ ist die Aufgabenteilung klar.

Was hat es mit „Tradwives“ bei Social Media auf sich?

In den sozialen Medien verkörpern „Tradwives“ unter dem entsprechenden Hashtag das traditionelle Rollenbild der Frau. Besonders in den USA und vermehrt im konservativen „Bible Belt“ (Bibelgürtel) berichten Frauen bei Social Media von ihrem Alltag als Hausfrau und Mutter. Sie teilen Videos, die sie beim Kochen, Backen, Putzen und der Kindererziehung zeigen, während die Ehemänner und Väter bei der Arbeit sind und das Geld für den Unterhalt der Familie verdienen. Darüber hinaus geht es „Tradwives“ darum, ihren Ehemännern zu gefallen und sich um sie zu kümmern, wenn diese abends von der Arbeit kommen. Besonders in den USA sind die meisten „Tradwives“ weiße Frauen.

So, wie sich die Frauen darstellen, erinnern sie an das klassische Bild der Frau aus den 1950er-Jahren. Einige kleiden sich auch so, mit schwingenden Röcken und Kleidern. Bekannte amerikanische „Tradwives“ auf Instagram sind zum Beispiel Estee Williams oder Hannah Neeleman, die auf ihrem Account „ballerinafarm“ das amerikanische Landleben auf einer großen Farm zeigt.

In Deutschland gibt es weniger Influencerinnen, die sich als „Tradwives“ bezeichnen. Eine von ihnen ist Carolina Tolstik. Im Gegensatz zum klassischen Rollenbild lebt sie jedoch „nur“ in einer Partnerschaft, ohne verheiratet zu sein und hat auch keine Kinder. Wer sich hinter dem Account „tradwifefactory“ verbirgt, ist nicht ersichtlich. Aber auch diese deutschsprachige Nutzerin teilt ihren Hausfrauenalltag mit einer großen Community bei Instagram.

Was ist die Kritik an „Tradwives“?

Zum einen lauten die Vorwürfe gegenüber den „Tradwives“, dass sie ein sexistisches Frauen- und Familienbild zeigen. Die – nicht nur finanzielle – Unabhängigkeit, für die Frauen so lange gekämpft haben und es oft immer noch tun, werde durch diesen Trend möglicherweise wieder zunichtegemacht. Auch im Bemühen um die Gleichstellung der Geschlechter sei der „Tradwife“-Trend kontraproduktiv.

Zum anderen seien die propagierten Ideale gleich in mehrerer Hinsicht unrealistisch. So sei der Verzicht auf Erwerbsarbeit schon in früheren Zeiten oft nur finanziell gut gestellten Familien und in den USA meist weißen Frauen vorbehalten gewesen. Der propagierte Lebensstil sei daher gar nicht so traditionell wie angenommen, sagen Kritiker. Außerdem seien die in den Videos dargestellten Inhalte selbst oft völlig unrealistisch – wenn zum Beispiel die Butter für den Kuchen erst selbst hergestellt oder für die Milch erst eine Kuh gemolken werde, wie es Hannah Neeleman auf ihrer „Ballerinafarm“ manchmal zeige.

Ein weiterer Vorwurf an „Tradwife“-Accounts lautet, dass rechtsextreme Akteure sie leicht für ihre Zwecke instrumentalisieren können. Weil die Frauen sowieso schon traditionelle Rollenbilder und konservative Werte verträten und sich öfter mal gegen die Gleichstellung der Geschlechter oder auch gegen Migration aussprächen. Dass sich amerikanische „Tradwives“ vor der Wahl häufig für Donald Trump aussprachen, ist daher auch nicht überraschend.

Welche christlichen Influencerinnen verbreiten „Tradwife-Sex“?

Die Antwort ist eindeutig: keine. Zumindest konnten wir bei PRO keine namhaften deutschen christlichen Influencer für diesen Trend ausfindig machen, wie es „Welt“-Autorin Hannah Lühmann behauptet. Sie selbst nennt in ihrem Artikel für solche Accounts auch keine Beispiele. PRO hat deshalb Sem Dietterle gefragt, der sich als Jugendpastor und Social-Media-Experte in der christlichen Influencer-Szene sehr gut auskennt.

Gegenüber PRO gab er an, es gebe natürlich christliche Accounts, die traditionelle Werte verträten oder ein klassisches Bild von der Rolle der Frau mit ihrem Glauben begründeten. Reichweitenstarke christliche „Tradwives“, die für eine Sexualität werben, wie es Welt-Autorin Lühmann behauptet, gebe es jedoch nicht. Auch PRO sind bei der Recherche keine namhaften christlichen Accounts begegnet, die in dieser Weise größeren Einfluss auf die Social-Media-Welt ausüben.

Ist „Tradwife“-Sein in Deutschland ein Trend für junge Frauen?

Verschiedene Medienberichte oder auch TV-Dokus wie zum Beispiel des ZDF erwecken den Eindruck, das Thema sei auch in Deutschland unter jungen Frauen groß. Und dass viele nach so einem Lebensstil streben. Schaut man sich aber die deutsche Instagram-Welt näher an, stellt man fest, dass es wenige Frauen hierzulande gibt, die dieses Ideal verkörpern oder anstreben. Statt „Tradwives“ scheint es in Deutschland immer noch deutlich mehr Influencerinnen zu geben, die sich für ein modernes Frauenbild einsetzen: zum Beispiel für Gleichberechtigung in Partnerschaft, Kindererziehung und Haushalt und für eine Stärkung von Frauen im Berufsleben – egal ob mit Kindern oder kinderlos. Drei bekanntere Beispiele, die sich immer wieder mal mit diesen Themen beschäftigen, sind Influencerinnen wie Louisa Dellert oder auch christliche Influencerinnen wie Merle Schoon oder Kira Geiss. Es gibt aber auch viele weitere Accounts mit größerer oder kleinerer Reichweite, die sich diesen Themen widmen.

Auch in den USA ist die Social-Media-Welt übrigens bunt gemixt. „Tradwife“-Influencerinnen finden sich eher in den konservativeren Bundesstaaten und im sogenannten „Bibelgürtel“. In den Großstädten und an der Ost- und Westküste dominieren diese Frauenbilder nicht.

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