Die "Times" hatte Anfang des Jahres einen Prozess gegen Pakistanis in Nottingham zum Anlass genommen, ein Tabu zu brechen. In den meisten Berichten über Gerichtsprozesse ist gewöhnlich nichts über die Herkunft, die Hautfarbe oder die ethnische oder religiöse Zugehörigkeit der Angeklagten zu erfahren. Doch nach dem Prozess um Mohammed Liaqat und Abid Saddique stellte die Zeitung ein Dossier über 17 ähnliche Prozesse in 13 Städten zusammen. Die Männer im Alter von 28 und 27 Jahren wurden wegen Vergewaltigung und sexuellen Missbrauchs mehrerer weiblicher Jugendlicher zwischen 12 und 18 Jahren zu Freiheitsstrafen verurteilt. Sie reichten die Opfer auch an andere Männer weiter, die sie vergewaltigten und misshandelten.
Das Schema war in allen Prozessen ähnlich: Männer machten junge britische Mädchen mit viel Aufmerksamkeit, Süßigkeiten, Fahrten in schicken Autos und mit Drogen gefügig. Dann vermittelten sie sie an andere Männer. Wie die evangelische Nachrichtenagentur "idea" unter Berufung auf die "Times" berichtet, waren von den insgesamt 56 Verurteilten 53 Asiaten, davon 50 mit muslimischen Namen, die meisten pakistanischer Herkunft, und drei Weiße. Die "Times" hatte in ihrer am 5. Januar veröffentlichten Untersuchung 17 Gerichtsprozesse seit 1997 aus 13 Städten Nord- und Mittelenglands betrachtet. In Großbritannien sind von den 62 Millionen Einwohnern 1,6 Muslime. Sie stammen meist aus Einwandererfamilien aus Pakistan und Bangladesch.
In der Stadt Derby etwa sprachen die Männer Mädchen an Bushaltestellen oder Bahnhöfen an, das jüngste Opfer war zwölf Jahre alt, berichtet der "Tagesspiegel". Nachdem sie die Mädchen mit Aufmerksamkeit beeindruckten, vergewaltigten sie sie in Hotelzimmern oder Parks. Die Sexszenen wurden mit Handys gefilmt und weitergegeben. Der Richter sagte bei der Urteilsverkündung: "Sie behandelten junge Menschen mit einem völligen Mangel an Menschlichkeit und Respekt".
Pakistanische Kultur inmitten eines westlichen Landes
Grund des Problems sei der Kontrast zwischen der strengen Sexualmoral Pakistans und den Sitten junger Engländerinnen, so die "Times". Die Täter seien Männer, die eifersüchtig über die Jungfräulichkeit ihrer Schwestern und Töchter wachten, westliche Mädchen aber als "Huren" betrachteten. Die "Times" sprach von einer "Verschwörung des Schweigens". Es sei bei Gerichtsprozessen durchaus relevant, welcher Abstammung die Täter seien. "Um diese Verbrechen zu stoppen, muss man darüber sprechen. Aber niemand will öffentlich sagen, dass Briten pakistanischer Herkunft in einigen Teilen unseres Landes junge weiße Mädchen heranziehen und sie unter ihren Verwandten für Sex herumreichen", wird ein hoher Polizeibeamter zitiert. Laut der "Times" wussten Polizei und Behörden schon lange von diesen "systematischen Misshandlungen", unternahmen aber nichts, weil sie fürchteten, Rechtsextremisten könnten Hass gegen Ausländer schüren.
Der frühere Innenminister unter der Regierung Tony Blairs, Jack Straw, sagte: "Diese jungen Männer leben in einer westlichen Gesellschaft, und sie verhalten sich wie andere junge Männer auch, sie bersten vor Testosteron, sie brauchen ein Ventil, aber gemäß der pakistanischen Tradition sind pakistanische Mädchen verboten, denn sie müssen ein Mädchen aus der pakistanischen Heimat heiraten." Straw, in dessen Wahlkreis Blackburn es zwei solche Prozesse gab, fügte hinzu, in weißen Mädchen sähen sie dann "leichtes Fleisch".
Straws Äußerungen riefen den Widerspruch auch unter seinen Parteifreunden hervor. Der Unterhausabgeordnete Keith Vaz sagte, man dürfe keine Pauschalurteile fällen. Es handele sich auch nicht um ein "kulturelles Problem". Der Direktor der muslimischen Jugendorganisation Ramadan-Stiftung, Mohammed Shafiq, erklärte, keine Religionsgemeinschaft sanktioniere solche Verbrechen. Es sei deshalb zutiefst beleidigend, wenn man unterstelle, dass dies in einer bestimmten Gemeinschaft verwurzelt sei. Premierminister David Cameron (Konservative) und sein Stellvertreter Nick Clegg (Liberaldemokraten) äußerten große Sorge wegen der Veröffentlichung. Nun solle sich die Sondereinheit "Child Exploitation and Online Protection Centre" (Zentrum gegen Kindesmissbrauch und Online-Schutz) mit dem Thema befassen. Darin arbeiten Polizei, Sozialarbeiter und Schulexperten zusammen. (pro)