Theologin und Grünen-Politikerin Antje Vollmer ist gestorben

Sie war Grünen-Politikerin der ersten Stunde, Theologin und strikte Pazifistin: Die erste grüne Bundestags-Vizepräsidentin Antje Vollmer ist tot. Sie starb nach langer Krankheit im Alter von 79 Jahren.
Von Jörn Schumacher
Antje Vollmer

Die evangelische Theologin und Grünen-Politikerin Antje Vollmer ist am Mittwoch gestorben – „nach langer, schwerer Krankheit“, wie es auf ihrer Website heißt. Vollmer saß von 1983 bis 1985, von 1987 bis 1990 und schließlich von 1994 bis 2005 im Bundestag. In dieser dritten Phase war sie seine Vizepräsidentin.

Die Abgeordneten gedachten Vollmers am Donnerstag in einer Schweigeminute. Bundestagspräsidentin Bärbel Bas nannte Vollmer „eine der profiliertesten Frauen in der deutschen Politik“. Bundestagsvizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt (Grüne) schrieb auf Twitter: „Sie war von Beginn an dabei und hat vieles von dem durchgekämpft, wovon wir heute profitieren. Die weibliche 3-er Spitze war legendär. Und sie hat ihren eigenen Kopf behalten, unbeugsam!“

Vollmer wurde am 31. Mai 1943 im ostwestfälischen Lübbecke geboren. Nach dem Abitur 1962 studierte sie Theologie in Tübingen, Heidelberg, Paris und in Berlin. Von 1969 bis 1971 war sie wissenschaftliche Assistentin an der Kirchlichen Hochschule in Berlin und danach Vikarin im Berliner Bezirk Wedding. Sie nahm 1971 noch ein Studium der Erwachsenenbildung auf und wurde 1973 promoviert. In ihrer Doktorarbeit beschäftigte sie sich mit dem Thema „Die Neuwerkbewegung. Ein Beitrag zur Geschichte der Jugendbewegung, des religiösen Sozialismus und der Arbeiterbildung“.

Vollmer war bis 1982 Dozentin in der ländlichen Bildungsarbeit an der Evangelischen Heimvolkshochschule bei den Bodelschwinghschen Stiftungen Bethel in Bielefeld. Dass sie ihren Sohn als alleinerziehende Mutter großzog, bereitete ihr nach eigenen Angaben zur damaligen Zeit sowohl in der Kirche als auch im Bauernverband Schwierigkeiten.

Über ihr Engagement bei der Landjugend und ihre Mitarbeit in der Arbeitsgemeinschaft „Bauernblatt“ gelangte Vollmer zu den Grünen. Sie saß ab 1983 im Bundestag, Parteimitglied wurde sie jedoch erst 1985. Bereits im Jahr zuvor wurde sie mit zwei Wegbereiterinnen von der Fraktion zur Sprecherin gewählt. Die Partei hatte das „Feminat“ ausgerufen, die drei Frauen bildeten eine gleichberechtigte Dreierspitze als Sprecherinnen.

Nachdem die Grünen 1990 nicht in den Bundestag einzogen, arbeitete Vollmer vier Jahre für die Zeitung taz, den Spiegel und die Frauenzeitschrift Emma. Sie habe Frauen zeigen wollen, „dass man auch Politik machen kann, wenn man eine zitterige Stimme hat“, sagte die Politikerin einmal.

Pazifismus, Versöhnung und Ökumene

Mit dem Aufstieg der Grünen zur drittstärksten Kraft im Bundestag 1994 erhielt die in Hessen kandidierende Vollmer wieder ein Mandat, das sie zweimal verteidigte. Zur Bundestagswahl 2005 trat sie nicht mehr an. Sie war seither als Autorin und Publizistin sowie als Gastprofessorin für Politikmanagement der Stiftung Mercator an der NRW School of Governance der Universität Duisburg-Essen tätig.

Im Jahr 2007 veröffentlichte Vollmer das Buch „Gott im Kommen? – Gegen die Unruhestifter im Namen Gottes“ über ein „profiliertes Christentum“. Darin untersucht sie, inwieweit die großen Weltreligionen gefährdet sind, für Gewalt funktionalisiert zu werden. Sie schreibt: „Mit dem unbekannten Gott zu rechnen, verändert privates und gesellschaftliches Leben. Unruhe und heilsame Störung unterbrechen den Alltag. Menschen werden befreit vom Machbarkeitswahn und humorlosem Selbstverwirklichungsdruck.“

Im Jahr 2013 gab sie dem Magazin evangelisch.de ein Interview zur Frage „Ist Snowden der moderne Luther?“ Vollmer: „Was bei Luther die theologische Brillanz war, ist bei Snowden seine außergewöhnliche technische Intelligenz. Beide strebten also ins Zentrum der größten öffentlichen Macht ihrer Zeit – und zwar schon in extrem jungen Jahren.“ Und: „Luther ahnte damals eine Chance für eine umfassende geistige Befreiung und wollte die Kirche im Inneren reformieren. Und auch Snowden will einfach, dass die USA wieder ein wirklich freies Land werden.“

2016 wurde Vollmers Briefwechsel mit dem katholischen Jesuitenpater Klaus Mertes über die Einheit der Kirche als Buch veröffentlicht. Beiden gingen die Reformschritte zur Einheit der beiden Volkskirchen nicht schnell genug. Anlass für den Briefwechsel war deren Mitgliedschaft im „Kuratorium 20. Juli 1944“, das jedes Jahr mit einem ökumenischen Gottesdienst im Hinrichtungsschuppen von Berlin-Plötzensee an die Ermordeten des NS-Regimes erinnert.

Zuletzt gehörte sie zu den Erstunterzeichnern des „Manifest für Frieden“ von Sahra Wagenknecht und Alice Schwarzer.

Antje Vollmer wurde 79 Jahre alt. Sie hinterlässt ihren Sohn Johann.

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