Theologen sehen Mängel bei Orientierungshilfe

Über die umstrittene Orientierungshilfe zum Thema Ehe und Familie der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) haben Theologen am Samstag in Berlin diskutiert. Einstimmig unterstellten sie dem Papier theologische Unsauberkeiten. Auch der Ratsvorsitzende Nikolaus Schneider räumte Fehler ein.

Von PRO

Schneider erklärte gleich zu Beginn des Symposiums in der Französischen Friedrichstadtkirche, er freue sich zwar über die „rege Diskussion” zur Orientierungshilfe "Zwischen Autonomie und Angewiesenheit", nicht aber über jeden Ton, der gefallen sei. Manchen Beitrag finde er sogar „unterirdisch”. Die aktuellen politischen Debatten um Betreuungsgeld oder homosexuelle Partnerschaften zeigten, dass eine Auseinandersetzung über Ehe und Familie gesellschaftlich „dran” sei. „Die rege Diskussion der letzten Monate um das Familienpapier hat uns darin bestärkt, dass die Orientierungshilfe in ihrer gesellschaftlichen Analyse der Situation Zutreffendes sagt und dass wir eine Neubesinnung und Fundierung der Arbeit der evangelischen Kirche mit den neuen vielfältigen Formen von Familien brauchen”, erklärte er. Deshalb werde die Orientierungshilfe auch die kommende Synode beschäftigen. Schneider räumte aber auch ein, dass das „kommunikative Vorgehen” der EKD in diesem Punkt „verbesserungswürdig” sei. Auch inhaltliche Punkte müssten deutlicher ausformuliert und theologisch besser begründet werden.

Darin waren sich auch die je zwei Neutestamentler und systematischen Theologen einig, auch wenn sie die Orientierungshilfe teils positiv, teils negativ bewerteten. Friedrich Wilhelm Horn, Neutestamentler an der Universität Mainz, übte scharfe Kritik. Die EKD gebe die Ehe „in einem Handstreich und ohne Not” auf. Das sei aber gar nicht notwendig, um Offenheit für andere Lebensformen zu erlangen. „Für Paulus ist die Ehe von Mann und Frau der einzig mögliche Weg gelebter Sexualität”, stellte Horn fest. Die Orientierungshilfe greife des Öfteren auf Beispiele biblischer Lebenswirklichkeit zurück, um daraus Orientierung abzuleiten. „Dieses Verfahren ist aber hermeneutisch nicht statthaft”, sagte er. Homosexuelle Lebenspartnerschaften mögen vorgekommen sein, seien aber innerhalb der neutestamentlichen Ethik grundsätzlich undenkbar. Es sei zwar eine „fromme Illusion”, heute das Leben vollständig nach den Regeln der Bibel ausrichten zu können, die Orientierung an ihnen sei aber „unaufgebbar”.

„Echte Orientierung geben”

Wilfried Härle, systematischer Theologe an der Universität Heidelberg, erklärte, die Orientierungshilfe fordere dazu auf, alle Lebensformen, in denen Menschen Verantwortung füreinander übernehmen, zu würdigen. Sie habe vor allem deshalb „Entsetzen hervorgerufen”, weil sie sich von der Familie als Leitbild abwende. Tatsächlich könne keine christliche Kirche die Fortsetzung des Leids Homosexueller wollen, die sich über Jahrzehnte verstecken oder in bürgerliche Ehen hätten flüchten müssen und oftmals Suizid begangen hätten. Dennoch seien nicht alle Lebensformen als gleichgültig zu bewerten. Er forderte die Kirche dazu auf, sich auf einige wenige biblischen Zeugnisse zu konzentrieren, die „echte Orientierung” gäben. Zum einen sei eine Lebensgemeinschaft zwischen einem Mann und einer Frau auf lebenslange Dauer angelegt. In ihr werde Sexualität gelebt und in ihr wüchsen Kinder auf. Ehebruch hingegen werde als Übel bewertet, Mann und Frau als gleichwertig gesehen. „Dieses Wenige aber Gewichtige dürfen wir den Menschen und unserer Gesellschaft nicht vorenthalten.”

Der systematische Theologe Klaus Tanner von der Universität Heidelberg erklärte, der Kirche stehe es gut an, nicht moralisierend zu wirken, aber Lebensformen angemessen zu differenzieren. Kritisch sieht er, dass sie nicht einmal versuche, das Spektrum möglicher politischer Kontroversen in der Familienpolitik darzustellen. Sie suggeriere eine Eindeutigkeit in der Frage der Stellung gleichgeschlechtlicher Partnerschaften, die es in der politischen Kultur nicht gebe. Tanner verwies etwa auf unterschiedliche Positionen innerhalb der CDU. Die EKD stelle die Ermutigung ins Zentrum der Orientierungshilfe. Unter den Tisch falle aber die Lehre vom Sündersein und die Tatsache, dass der Gebrauch der Freiheit auch lebenszerstörerisch sein könne. Gerade Homosexualität werde in der Bibel radikal abgelehnt.

„Ethische Neubesinnung der Kirche ist unabdingbar”

Christine Gerber, Neutestamentlerin an der Universität Hamburg, unterstützte die Thesen der Orientierungshilfe weitgehend. Zwar forderte auch sie eine präzisere theologische Begründung. Allerdings erklärte sie auch, es gebe für die Ethik der Ehe und Familie keinen einfachen biblischen Befund, bereits das Neue Testament bezeuge unterschiedliche Auffassungen. Die Unterschiede zwischen den Vorstellungen von Familie, die die Bibel bezeuge, und den heute existierenden, seien so gravierend, dass eine unmittelbare Orientierung an ersteren nicht möglich sei. Eine ethische Neubesinnung der Kirche sei unabdingbar. Deshalb plädierte sie dafür, Liebe und Gerechtigkeit ins Zentrum biblisch fundierter Beziehungsethik zu stellen. (pro)

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