Der Antisemitismus-Experte Christian Staffa hat den Beschluss des Weltkirchenrates scharf kritisiert, Israel wegen seiner Politik gegenüber den Palästinensern als Apartheidssystem zu bezeichnen. Der Apartheidsvorwurf sei einfach falsch, sagte der christliche Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft Christen und Juden beim Deutschen Evangelischen Kirchentag dem Evangelischen Pressedienst (epd). Es gebe sehr unterschiedliche Lebenswirklichkeiten von Palästinensern in der Region. Im Staat Israel „gibt es keine Rassentrennung“. Der Zentralausschuss des Ökumenischen Rates der Kirchen (ÖRK) hatte Israel auf seiner Tagung vom 18. bis 24. Juni im südafrikanischen Johannesburg mit diesem Begriff verurteilt.
Der Apartheidsvorwurf sei „nicht belegbar“, fügte Staffa hinzu, der auch Antisemitismus-Beauftragter der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) und Studienleiter an der Evangelischen Akademie zu Berlin ist. So seien zum Beispiel viele Ärzte und Pflegekräfte in Israel Palästinenser. Auch die Situation in der Westbank rechtfertige rechtlich nicht den Apartheidsbegriff. Das sei eine kritikwürdige Besatzung, aber keine Apartheid. Auch in Ramallah gebe es keine Rassentrennung, sondern eine palästinensische Autonomiebehörde. Auch die Situation in Gaza habe mit Apartheid nichts zu tun.
Das aktuelle Statement widerspreche zudem dem Beschluss der Vollversammlung des Ökumenischen Rates der Kirchen (ÖRK) in Karlsruhe von 2022, des nur alle acht Jahre tagenden höchsten ÖRK-Gremiums. Es sei institutionell nicht zu verstehen, „warum ein Zentralausschuss sich über das Votum einer Vollversammlung hinwegsetzen kann“, sagte Staffa.
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Man könne eine Erklärung zu dieser Frage vor allem nicht ohne Kritik an der Hamas verfassen: „Der erste Bruch des Völkerrechts ist auf jeden Fall der Terrorangriff der Hamas vom 7. Oktober 2023“, sagte Staffa. Man könne die israelische Politik kritisieren, aber auch die Hamas verhindere, dass humanitäre Hilfe ins Land kommt.
Staffa kritisierte in diesem Zusammenhang die Aussage des Weltkirchenrats-Vorsitzenden und früheren EKD-Ratsvorsitzenden Heinrich Bedford-Strohm, dass Jüdinnen und Juden in aller Welt „wegen des Handelns der israelischen Regierung antisemitischen Angriffen ausgesetzt sind“. Staffa: „Das ist ein Satz, den kann man nicht sprechen. Das ist Täter-Opfer-Umkehr.“ Diasporajuden hätten sehr unterschiedliche Positionen zu Israel. Sie werden laut Staffa nicht als Israelis, sondern als Juden drangsaliert: „Und nicht, weil Netanjahu so böse ist, sondern weil es eben diese antisemitische Stimmung gibt.“
Der ÖRK-Zentralausschuss hatte in Johannesburg in einer einstimmig beschlossenen Erklärung gefordert, dass die „Realität der Apartheid beim Namen“ genannt wird. „Wir erkennen und verurteilen das System der Apartheid, das Israel dem palästinensischen Volk auferlegt und damit das Völkerrecht und das moralische Gewissen verletzt“, erklärte das zweithöchste Leitungsgremium. Der ÖRK umfasst derzeit rund 350 Mitgliedskirchen mit weltweit mehr als 580 Millionen Christen. Die katholische Kirche ist nicht Mitglied, arbeitet mit dem Weltkirchenrat aber zusammen.