Theologe greift Dawkins‘ „Gotteswahn“-Buch an

F r a n k f u r t (PRO) - Der britische Atheist Richard Dawkins, der mit seinem Buch "Der Gotteswahn" auch hierzulande erfolgreich ist, verfehlt mit seinem Buch den eigentlichen Inhalt von Religion. Der Evolutionsbiologe Dawkins habe im Grunde Scheuklappen vor allen anderen Denkkategorien, die mit Biogenetik nichts zu tun hätten, schreibt der Theologe Hermann Häring in einem Artikel der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" (F.A.Z.).
Von PRO

„Nirgendwo wird von Dawkins richtig geklärt, wen oder was genau er im Visier hat, wenn er sich gegen die Religion wendet“, schreibt Häring zu Beginn seiner Kritik an Dawkins‘ „Gotteswahn“ in der aktuellen F.A.Z.-Ausgabe. Unter der Überschrift „Auch Himmelsstürmer können irren“ fragt Häring: „Wendet er sich gegen die Religion der Fundamentalisten in den Südstaaten oder gegen die Religion derer, die den Irakkrieg als Kreuzzug betrachten?“ Diese „Unschärfe“ stehe in Kontrast zur „Entschiedenheit“, mit der der Protagonist des „neuen Atheismus“ auftrete, und sei zugleich sein „Erfolgsprogramm“, stellt Häring fest.

Gegenseitiger Respekt statt Dschungelkrieg und Unterstellungen

Häring, der bis 2005 Professor für Wissenschaftstheorie und Theologie an der Universität Nijmegen war, versucht, anhand der Argumente des Theologen Hans Küng Dawkins sachlich zu kritisieren und keinen „Dschungelkrieg um Schnellschüsse, absurde Unterstellungen und isolierte Anekdoten fortzuführen“. Küngs Buch „Der Anfang aller Dinge“ biete bereits „eine Grundsatzreflexion über das Verhältnis von Naturwissenschaft und Religion auf neuestem Wissensstand“.

Küng, der seine Argumente „ohne Polemik, mit Respekt und gebotener Selbstkritik“ vortrage, lege dar, dass sich „nach breitem theologischem Konsens“ ein aufgeklärter Gottesglaube vor dem naturwissenschaftlichen Wissensstand nicht zu fürchten brauche.

Dawkins hingegen blende völlig aus, dass „zwischen Theologie und Naturwissenschaften schon seit Jahrzehnten sinnvolle Gespräche“ stattfänden, schreibt Häring. „Die Zeiten, da wir uns gegenseitig als Idioten oder als halsstarrige Leugner verteufelten, sind vorbei. Scharfmacherei findet in der Sache keinen Halt.“ Die Theologie könne die Hauptthesen der Naturwissenschaft akzeptieren und als Bereicherung empfinden. Auch wenn es um Fragen zur Kosmologie und Evolutionstheorie oder nach dem Beginn der Menschheit sowie des menschlichen Geistes ginge, so sei dennoch gegenseitiger Respekt angebracht, so Häring.

Die Gespräche zwischen Theologen und Naturwissenschaftlern nehme Dawkins jedoch gar nicht ernst. Dabei würden sich beide Disziplinen gegenseitig bereichern. Mit seiner These, nach denen mit den Erkenntnissen der biogenetischen Evolutionstheorie der Sinn eines Gottesglaubens ruiniert werden könne, erreiche er dabei „eher das Gegenteil“, ist der Philosoph überzeugt.

„Auch Evolutionsgenetiker können nicht alle Fragen beantworten“

„Dawkins beansprucht, als Evolutionsgenetiker die Welt in all ihren Bezügen erklären zu können. (…) Aber auch Dawkins kann nicht alles beantworten.“ Evolutionsgenetiker seien schließlich nicht in der Lage, die Sinnstruktur von Kosmos, der Erde, des Lebens oder des Menschen oder die Leibnizsche Frage nach dem Sein an sich zu erklären („Warum überhaupt gibt es etwas, das nicht im Nichts geblieben ist?“).

Häring gibt zu verstehen: „Gewiss, keine Sinnfrage kann eine kosmologische oder darwinistische Theorie widerlegen, aber sie lässt sich auch nicht auf ein Urknall- oder Evolutionsmodell reduzieren.“ Doch „für diese Doppelstruktur von Erklären und Verstehen“ zeige Dawkins „kein Gespür“.

Der Brite sei „unfähig, auch nur einen Abschnitt anderen Dimensionen des menschlichen Lebens zu widmen“. Er wolle stattdessen menschliches Erkennen auf die Funktion von Synapsen und Kultur auf ein Überlebenstraining reduzieren, kritisiert Häring. „Will er das Geheimnis von Shakespeare mit dem Hinweis auf egoistische Gene beantworten?“

„Dawkins stürzt sich auf Skandalgeschichten der Bibel“

„Wie ein Buchhalter“ stürze sich Dawkins „auf einige Skandalgeschichten der hebräischen Bibel. Missmutig nivelliert er die jesuanische Nächstenliebe auf jüdischen Volksegoismus. Die Evangelien präsentiert er als zusammengereimte Zweckgeschichten, und den Kern des Neuen Testaments sieht er in der Erbsünde (von der dort nichts zu lesen ist). Kein Wort zur dramatischen Entwicklung des Eingottglaubens, zu Israels Prophetismus, zu dieser messianischen, ethisch höchst anspruchsvollen Heils- und Hochreligion.“ Auch erwähne Dawkins keinmal die Gestalt Jesu „und seine Nachwirkung bis in die Gegenwart“.

Wenn es um die Bibel gehe, zeigten sich die „Scheuklappen des Autors, dem außer der Biogenetik alle Denkkategorien verschlossen sind“. Vielmehr schildere er Religion als „Kinderei, Rechthaberei und rassistische Borniertheit, als Quelle der Gewalt“. Dabei, so Häring, unterschlage Dawkins, „dass die schärfsten Kritiker von Christentum, Judentum und Islam aus den eigenen Reihen kommen“.

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