"Junge Menschen gehen wieder in die Kirche. In hippen Clubs und alten Kinosälen feiern sie Gottesdienste", stellen die Autoren von "DRadio Wissen" fest. Bislang sei es nur ein Prozent der Bevölkerung. "In Brasilien füllen die Prediger der Pfingstkirchen bereits ganze Stadien." In der Sendung "Agenda" hat "DRadio Wissen" sieben Beiträge zum Thema gebündelt.
Im Beitrag "Von Baptisten bis Jesus-Freaks" wird Sabine Schröder interviewt, die in evangelischer Theologie zum Thema Freikirchen promoviert hat. Freikirchen, also beispielsweise Baptisten, Adventisten, Mennoniten oder Jesus-Freaks, erlebten einen Zuwachs, während die großen Kirchen an Mitgliederschwund litten, berichtet die Sendung. Auf die Frage, ob es sich um Sekten handele, antwortet Schröder: "Freikirchen sind definitiv keine Sekten, sondern Kirchen, die sich nicht so organisieren wie die Großkirchen, sich aber auf dieselben Glaubensbekenntnisse stützen wie diese."
Schröder spricht auch von einem Boom der Freikirchen in Afrika und Südamerika. Dort stimme der "Persönlichkeitsstil" offenbar sehr mit dem Glaubensstil der Gemeinden überein. Freikirchen achteten darauf, das Evangelium so zu vermitteln, dass es "im Alltag der Menschen auch wirklich ankommt". Auf die Frage, ob es viele Fundamentalisten unter den Freikirchlern gebe, antwortet Schröder: "Es gibt sicherlich fundamentalistische Gruppierungen unter den Freikirchlern, aber grundsätzlich zu sagen: ‚Freikirchen sind fundamentalistisch‘, wäre sicherlich zu sehr über einen Kamm gebürstet. Es gibt sicherlich Teile, wo man den Eindruck hat, dass es ganz viel Schwarz-Weiß-Denken gibt, etwa: ‚Drinnen ist es gut, draußen ist es böse.‘ Aber es gibt auch ganz viele, die sehr differenziert denken."
"Bibel TV": Strategie der Freikirchen
In einem weiteren Beitrag berichtet der Reporter Gottfried Stein von einer typischen Pfingstkirche im brasilianischen São Paulo. Eigentlich sei Brasilien weltweit das Land mit den meisten Katholiken, doch Freikirchen und gerade die Pfingstkirchen wüchsen enorm. Mehr als ein Viertel der Bevölkerung soll mittlerweile einer Pfingstkirche angehören. Die Erklärung der Journalisten für diesen Erfolg: Die Freikirchen haben die bessere Show und die geschicktere Marketingstrategie.
Reporter Wolfgang Meyer klärt über christliche Fernsehsender in Deutschland auf und kommt zu dem Schluss, dass diese ihre Inhalte "oft nicht theologisch fundiert, sondern ziemlich kitschig" präsentierten. "Bibel TV" wird "eine Strategie der Freikirchen" genannt, und die Aufmachung der Sendungen habe "ein bisschen was von Waschmittelwerbung". Das Stichwort von "Bibel TV und "Hope Channel" laute Emotionalisierung: Tanzen, gefällige Musik, Witze in den Predigten. Während in Amerika Hetzkampagnen von christlichen Medien gegen Abtreibungsärzte oder Frauen, die fremdgehen, an der Tagesordnung seien, sei das "hier in Deutschland ein bisschen anders". Die evangelische Theologin Johanna Haberer erklärt: Bei Evangelikalen handele es sich um Menschen, denen das Angebot der großen Kirchen zu wenig christusbezogen und zu wenig eindeutig sei.
Der 26-Jährige Simon Roth ist Mitglied bei den "Jesus-Freaks" in Jena. Im Telefoninterview mit "DRadio Wissen" erklärt er, was seine Gemeinde von den großen Landeskirchen unterscheidet: "Bei uns sind fast keine Pastoren angestellt, sondern es läuft viel über das persönliche Ehrenamt. Hier machen viele in ihrer Freizeit mit, die Partizipation ist einfach höher als in einer Landeskirche, wo viel über den Pastor läuft. Vom Grundprinzip her sind wir aber nicht so weit auseinander."
"Konservative Werte im modernen Gewand"
In der Reportage "Mit E-Gitarre und Schlagzeug" besucht die Reporterin Julia Fritzsche einen Gottesdienst der ICF-Gemeinde in München ("International Christian Fellowship"). Sie beschreibt ihre vielfältigen Eindrücke, wie zum Beispiel die Lobpreisband, die so stylish aufträte, als sei sie gerade einer Castingshow entsprungen. "Die Predigt ist ein professionell produziertes Theaterstück, mit Komparsen und Lichtshow", erzählt Fritzsche. "Gleichzeitig ist sie ein Seminar zur Lebensführung." Die ICF stehe für konservative Werte, die mit einer "modernen Multimedia-Show daherkommen" – für die Ehe, für eine traditionelle Rollenverteilung und gegen Homosexualität.
In dem Expertengespräch "Freikirchen im Netz" schließlich geht es um die Kommunikation von Freikirchen im Internet beziehungsweise in sozialen Netzwerken. Experte Michael Gessat schaut dazu beispielsweise auf der Homepage der Mennoniten vorbei und attestiert: "Das sieht relativ normal aus." Die Website der Heilsarmee, heilsarmee.de, biete Sachen, die auf den ersten Blick etwas komisch wirken würden, zum Beispiel die militärischen Titel der Mitarbeiter. Neben den offiziellen Informationsseiten der Freikirchen gebe es aber auch andere Stimmen, etwa von Aussteigern, die von Gruppendruck berichteten. Wer ein objektives Bild von den Freikirchen erhalten wolle, der müsse sich positive wie negative Beispiele anschauen. (pro)