Regisseur Fatih Akin zeigt mit dem neuen Film „The Cut“ seine Sichtweise auf ein tragisches Kapitel der Weltgeschichte – den Genozid an den Armeniern. Mit dem Werk bringt der Filmemacher Emotionen und Botschaften glaubhaft auf die Leinwand. Eine Filmkritik von Mira Wiessalla
Der junge Schmied Nazaret (Tahar Rahim) sucht in „The Cut“ seine Zwillingstöchter (Zein und Dina Fakhoury)
Der am Donnerstag in den deutschen Kinos angelaufene Film „The Cut“ ist der letzte Teil der Fatih-Akin-Filmtrilogie „Liebe, Tod und Teufel“. Entsprechend seiner „teuflischen“ Thematik ist er recht düster und brutal, ohne die Sonnenseiten des Lebens auszusparen.
Der Hamburger Regisseur und Drehbuchautor Akin weiß das Böse im Menschen meisterhaft in Szene zu setzen. In „The Cut“ wird das Publikum nicht nur mit dem Bösen in der Welt – hier in Gestalt des Völkermordes an den Armeniern – konfrontiert, sondern auch ganz persönlich mit dem Bösen in jeder Person. Damit hält Akin dem Zuschauer einen Spiegel vor und verdeutlicht, wie fließend die Grenzen zwischen Gut und Böse sein können.
Der „Cut“
Die Einstiegszene, in der der Hauptakteur Nazaret Manoogian in seinem Geschäft eine selbstgeschmiedete Schere verkauft, lässt vermuten, der Film trage deswegen den Titel „The Cut“ (der Schnitt). Später folgt ein „Cut“ der anderen Art, als die türkische Gendarmerie die Armenier 1915 in den „Krieg“ ruft und die Männer aus Mardin, die nicht zum Islam übertreten wollen, zum Knien vor einer Felswand zwingt. Alle werden ohne Zögern durch die Säbel der türkischen Soldaten geköpft.
Nazaret, der junge Schmied und Vater von Zwillingstöchtern, ist der einzige Überlebende – nur weil der Soldat Mehmet es nicht über das Herz bringt, ihn zu töten. Sein Oberbefehlshaber bedroht ihn mit einer Waffe an der Schläfe, Mehmet solle das „armenische Schwein“ endlich töten oder er werde sein eigenes Leben verlieren. Daraufhin ritzt Mehmet die Kehle des jungen Mannes an, sodass Nazaret scheinbar tot neben seinen armenischen Volksleuten zusammenbricht und von da an wortwörtlich verstummt. Durch den Schnitt verliert der Mann seine Stimme. In der Nacht kommt der von Gewissensbissen geplagte Soldat zum Ort des Schreckens zurück und versorgt Nazaret mit Wasser. Schließlich begibt sich der Armenier auf die Suche nach seiner Familie.
Qualen und Todeswunsch
Nahe der Stadt Ros al-Ayn trifft er auf ein riesiges Flüchtlingslager, in dem lauter abgemagerte, armenische Frauen und Kinder darben. Unter ihnen findet Nazaret seine Schwägerin und steht ihr in ihren Todesqualen bei. Über mehrere Stunden hinweg fleht sie ihn an, ihre Hungerqual zu beenden und behauptet, Gott habe kein Erbarmen mehr, da alle aus ihrer Verwandtschaft tot seien. Lange widersteht er ihrem Todeswunsch bis er ihr, auf ihr unermüdliches Drängen hin, die Kehle zudrückt. Nachdem er sie getötet hat, hält er sie noch lange fest in seinem Arm. Als er seine Reise fortsetzt, wird er von einer unglaublichen Wut und schrecklichen Gewissensbissen heimgesucht, die sich unter anderem darin äußern, dass er eine Kreuz-Tätowierung mithilfe eines Steins von seinem Handgelenk schaben möchte. Ein weiterer „Cut“.
Im Laufe des Films erreicht Nazaret unverhofft die Nachricht, dass seine Zwillingstöchter noch am Leben sind. Eine weltweite Odysee beginnt. Besessen von dem Gedanken, sie wiederzufinden, folgt er ihren Spuren quer durch die Wüsten Mesopotamiens über Havanna und Minneapolis bis in die kargen und einsamen Prärien North Dakotas.
„The Cut“ ist Epos, Drama, Abenteuerfilm und Western zugleich. Der Film erzählt von Krieg und Vertreibung, aber auch von der Kraft der Liebe und der Hoffnung, die den Menschen zum Guten bewegen kann.
Die Akin-Filmtrilogie „Liebe, Tod und Teufel“
Der erste Teil der Akin-Trilogie „Gegen die Wand“ (2004) handelte von dem unermüdlichen Lebenswillen einer jungen Deutschtürkin, die erlebt, wie dicht Schmerz und Liebe beieinander liegen können. Im 2007 veröffentlichten zweiten Teil „Auf der anderen Seite“ inszeniert Akin die Lebensgeschichten von sechs Menschen, deren Wege sich kreuzen, ohne sich direkt zu berühren. Der Tod führt sie schließlich zusammen.
Der dritte Teil, „The Cut“, imponiert mit einigen Dialogen in den Originalsprachen der Länder, in denen der Film spielt. Der stumme Protagonist Nazaret, überzeugend dargestellt von Tahar Rahim, bekommt in der Schlussszene unverhofft einen Ton heraus, was den Zuschauer betroffen verstummen lässt.
Fatih Akin hat mit diesem geballten Epos wieder bewiesen, warum er zu den erfolgreichsten deutschen Regisseuren zählt. Obwohl die ersten beiden Filme der Trilogie ein anderes Genre als „The Cut“ bedienen, bauen alle drei Filme im gewissen Sinn aufeinander auf. Alle Hauptcharaktere – Cahit aus „Gegen die Wand“, Nejat aus „Auf der anderen Seite“ und Nazaret aus „The Cut“ – sind scharfe Beobachter und verschreiben sich ganz einer Idee und folgen ihr bedingungslos. „The Cut“ schreckt auch nicht vor schwierigen Themen zurück, wie dem Verleugnen des eigenen Glaubens aufgrund von religiös-politischem Druck. Ein ehrlicher, intensiver und sehenswerter Film. (pro)
The Cut, seit 16. Oktober im Kino, Drama, Deutschland, Frankreich, Polen, Türkei, Kanada, Russland und Italien 2014, ca. 138 Minuten, FSK 12
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