Dabei hatte alles so gut begonnen. Seit Jahren hilft die Politikergattin zu Guttenberg mit ihrer Organisation "Innocence in Danger", Kinder vor sexuellem Missbrauch zu schützen. Ihr jüngst erschienener Ratgeber "Schaut nicht weg!" (Kreuz-Verlag) informiert über die Folgen der Vergehen an Kindern, fordert eine angemessene Sexualerziehung und erregte bundesweit das Interesse der Medien. Dann kam "Tatort Internet".
In der Serie auf RTL 2 sollen mutmaßliche Pädophile mit Hilfe von Lockvögeln entlarvt werden. In den bisher ausgestrahlten Folgen ließen sich vorgeblich Minderjährige in Internet-Foren auf Verabredungswünsche erwachsener Männer ein. Beim Treffen vor laufender Kamera wurden die vermeintlichen Verbrecher gestellt. Die Deutsche Polizeigewerkschaft (DPolG) lobte "Tatort Internet" umgehend. Die Sendung sei absolut richtig, "weil so der Druck auf Pädophile im Internet dauerhaft erhöht wird", hieß es. Mit diesem Lob steht die Polizeigewerkschaft jedoch weitgehend allein da.
Der Zweck heilige nicht alle journalistischen Mittel, erklärte die hessische Landesmedienanstalt am Mittwoch. Es müsse eine Balance zwischen den Persönlichkeitsrechten der potenziellen Opfer und Täter und dem Aufklärungs- und Informationsbedürfnis der Gesellschaft gefunden werden. Tatsächlich ist es juristisch höchst problematisch, dass auf RTL2 mutmaßliche Täter an den öffentlichen Pranger gestellt werden, bevor in irgendeiner Form polizeilich gegen sie ermittelt wurde. Damit übernehmen Journalisten, die vierte Gewalt im Staat, nicht nur die Funktion von Polizei und Staatsanwaltschaft, also der dritten Gewalt – sie nehmen sich sogar mehr Rechte heraus, als sie laut Gesetz haben. So erklärte etwa Niklas Auffermann, Anwalt für Strafrecht in Berlin, gegenüber der "Zeit": Ein Lockspitzeleinsatz durch Privatpersonen und die Provokation von vermeintlichen Straftaten sei an sich schon problematisch. RTL2 habe zudem versäumt, die Täter ausreichend zu anonymisieren.
So war es Zuschauern der Sendung in mindestens zwei Fällen gelungen, die Namen der beschuldigten Personen herauszufinden. Einer von ihnen ist der Leiter eines Kinderdorfes der Caritas in Würzburg. Er war am 14. Oktober entlassen worden, nachdem er anonymisiert in der Sendung als Täter auftauchte. Seitdem wird der Mann vermisst. Das erinnert an einen Fall aus den USA. Ein texanischer Staatsanwalt sollte während eines Drehs für den amerikanischen Vorgänger von "Tatort Internet" ("To Catch a Predator") vor laufender Kamera gestellt werden. Doch soweit kam es nicht. Der Mann erschoss sich in dem Wissen, dass Polizei und Kamerateam sein Haus durchsuchen wollten. Die amerikanische Sendung wurde inzwischen abgesetzt.
Pädophile stellen bei der Internetkriminalität die größte Tätergruppe. Das Thema sexueller Missbrauch und die Gefahren der Onlinewelt dürfen wir nicht aus dem Blick verlieren. Schade, dass genau das derzeit geschieht.(pro)