Kein Superheld entspricht mehr biblischen Stereotypen als der erste: Superman. Clark Kent alias Kal-El vom Planeten Krypton erblickte 1938 das Licht der Comic-Welt. Es waren raue politische Zeiten. Hitler war in Deutschland bereits an der Macht, die Juden wurden stigmatisiert und gejagt. Zeit für einen biblischen Helden, mögen sich da Jerry Siegel und Joe Shuster, die jüdisch-stämmigen Erfinder des imaginären Weltenretters, gedacht haben.
Die Geschichte des amerikanischen Comics ist zu einem großen Teil jüdisch. Das zeigt derzeit die Sonderausstellung "Helden, Freaks und Superrabbis. Die jüdische Farbe des Comics" im Jüdischen Museum in Berlin. Anfang des 20. Jahrhunderts wurde die gezeichnete Geschichte nach und nach zum Kassenschlager. Das Mekka der Comic-Künstler lag in New York – zugleich war die Stadt Heimat zahlreicher Juden osteuropäischer Herkunft. Auch deshalb sind die oft nur als Kinderbelustigung angesehenen Comics von Superman und Co mehr als Spiel und Spaß: Sie sind ein Stück jüdischer Kultur und ein künstlerisches Mahnmal, das schon Anfang des 20. Jahrhunderts auf den aufkeimenden Totalitarismus jenseits des Atlantiks aufmerksam machte.
Superman, der Jude
Superman ist ein Stück jüdischer Identität. Er hat einen jüdischen Namen – Kal-El bedeutet auf Hebräisch "Stimme Gottes" –, und er ist eine Mischung aus den biblischen Figuren Moses, Samson und Jesus. Er versucht, sein Volk vom sterbenden Planteten Krypton zu retten, überlebt aber als einziger die Zerstörung seiner Heimat, kommt als Heilsbringer auf die Erde und hilft dort mit Wunderkräften den Schwachen und Unterdrückten. In einem Comic aus dem Jahr 1940 mit dem Titel "Wie Superman den Krieg beenden würde" jagt der Held Hitler und Stalin und stellt sie vor ein Kriegsgericht. Und er ist nicht der einzige. Je näher der Zweite Weltkrieg rückte, desto mehr Superhelden jüdischen Ursprungs wanderten aus amerikanischen Druckerpressen: Egal ob Captain America oder Batman – sie alle kämpften bildgewaltig gegen den gemeinsamen Feind Nazideutschland.
Im März 1941 erschien die erste Ausgabe von "Captain America", einer Superhelden-Figur in hautengem Kostüm in den Farben und Mustern der US-Flagge. Seine jüdischen Erfinder Jack Kirby und Joe Simon ließen den Helden auf dem Cover der ersten Ausgabe gegen Hitler kämpfen. Er streckt ihn mit einem Kinnhaken nieder. Auch Bob Kane, der Erfinder von Batman, ist jüdischer Herkunft und unterstützte die Amerikaner bildgewaltig im Kampf gegen die Nazis. In den 50er Jahren gründete der jüdische Verleger William Gaines den EC-Verlag, bei dem etwa das Satireheft "MAD" erscheint, das heute Kultstatus erreicht hat. MAD ist bekannt dafür, mit der Ethnie zu spielen, gezielt jiddische Begriffe zu nutzen und satirisch mit Rasse und Kultur umzugehen.
Juden im Comic: die letzten ihrer Art
Waren die Superhelden in den 30er und 40er Jahren noch Ausdruck eines jüdischen Aufbäumens gegen den Antisemitismus in Europa gewesen, widmeten sich die jüdischen Zeichner in den 60er und 70er Jahren einem anderen gesellschaftlichen Thema: der Ausgrenzung. Die jüdische Nachkriegsgeneration erlebte ihre Andersartigkeit in einer Welt, in der die meisten ihrer Angehörigen getötet worden waren. So entstanden Comicfiguren wie Hulk, die X-Men, Spiderman oder die Fantastischen Vier. Sie alle haben gemeinsam, dass sie anders sind als der Rest der Gesellschaft. Sie werden angefeindet und ausgegrenzt, entscheiden sich aber dennoch dafür, die Welt wieder und wieder vor dem Bösen zu retten. Anspielungen in den Comics weisen auf die jüdische Herkunft von Figuren wie dem "Ding", einem Mitglied der Fantastischen Vier, hin. Auch X-Men-Bösewicht Magneto hat eine jüdische Vergangenheit. Die Comics zeigen ihn im Warschauer Getto oder bei seiner Flucht aus dem Konzentrationslager Auschwitz.
Ende der 70er Jahre wurde der Comic zum Buch. Graphic Novels eroberten den Markt, darunter etwa "Maus – die Geschichte eines Überlebenden" von Art Spiegelman, die später mit dem Pulitzerpreis ausgezeichnet wurde. Im Buch schildert der Verfasser die Verfolgungs- und Überlebensgeschichte seiner Eltern während des Nationalsozialismus. Bei ihm ging es düster und traurig zu – ein Gegenpol zur bunten Comicwelt von Superman, Daredevil oder den X-Men.
Auch Israel schrieb Comic-Geschichte. "Sabraman" erschien erstmals 1978 und wurde als Antwort auf Superman gehandelt. Statt eines roten S prangt bei diesem Superhelden ein Davidstern auf der breiten Brust. Seine Uniform ist in den Farben Israels blau-weiß gehalten. Der Name "Sabra" bedeutet im Hebräischen Feigenkaktus und bezeichnet die im Land geborenen Israelis entsprechend dem Bild, sie seien außen stachelig und innen süß. In Israel blieb die Sparte Comic aber den Kindern vorbehalten. Die Kunstform wird bis heute eher pädagogisch als künstlerisch verstanden.
Jüdisches von Nichtjuden
Auch Nichtjuden in den USA widmen sich immer wieder jüdischen und religiösen Themen. Jack Jackson etwa publizierte den Comic "God Nose" (Gottes Nase), eine Geschichte um einen Zwerg mit Rauschebart und großer Nase, der Superkräfte besitzt. Der Comic lehnt sich an jüdische und biblische Klischees an. Ebenso tat es Gilbert Shelton, der "Die Abenteuer von Jesus" herausbrachte, ein Comic, der sich mit der Jugend von Jesus beschäftigt – ebenfalls auf satirische Weise. Nicht zuletzt ist es der Zeichner Robert Crumb, der bis heute seiner Verachtung, aber auch seiner Faszination biblischer Geschichten in Zeichnungen Ausdruck verleiht. In den 60er Jahren wurde er durch seine gewaltverherrlichenden Cartoons wie "Fritz the Cat" bekannt. 2009 veröffentlichte er eine gezeichnete Version des Buches Genesis.
Comic ist Kunst – wer das bezweifelt, wird in der Ausstellung "Helden, Freaks und Superrabbis" eines besseren belehrt. Der Comic – und besonders der jüdische – ist politisch, gesellschaftskritisch und antitotalitär. Das zeigen noch bis zum 8. August 400 Exponate von mehr als 40 Künstlern auf 500 Quadratmetern im Jüdischen Museum. Die Ausstellung zieht einen Bogen, beginnend im 19. Jahrhundert, als der Comic noch ausschließlich als kurzer Zeitungsstrip veröffentlicht wurde, bis in die heutige Zeit, in der er Bücher füllt. Doch sie zeigt nicht nur Zeichnungen und Geschichten. Sie gibt einen Einblick in das Innenleben einer verfolgten Ethnie, die nie ganz von ihrer eigenen Geschichte genesen ist. Damit die Welt daran Anteil hat und nicht vergisst. (pro)