Superhelden im Kino – eine theologische Herausforderung

Das Kinojahr 2019 war außergewöhnlich erfolgreich. Neun Filmen ist es gelungen, an den Kassen mehr als eine Milliarde Dollar einzuspielen. Fast alle handeln von Superhelden in einer fiktiven Welt. Daher ist es Zeit für eine kleine theologische Besinnung: Was macht diese Fantasyformate heute so erfolgreich? Neben ihren beeindruckenden technischen Finessen sind drei Aspekte auch aus christlicher Sicht bemerkenswert.
Von PRO
Ikonen des Kinos: Sturmtruppler gehören zur Bildsprache von „Star Wars“. In der Neuauflage der Filme ist ein Soldat mit Selbstzweifeln zu erleben.

Fantasy ist längst keine Nische mehr, sondern Mainstream. Manche sagen, diese Filme seien Ausdruck einer weltflüchtigen Sehnsucht; des Wunsches, wenigstens im Kino einmal weit weg zu sein von Brexit, Klimapolitik und Mindestlohndebatten. Da mag was dran sein. Und das ist nicht unproblematisch. Es könnte Ausdruck der menschlichen Unfähigkeit sein, sich mit den heutigen Herausforderungen unserer Welt überhaupt noch ernsthaft und gründlich auseinanderzusetzen.

Aber vielleicht liegt in dieser Vorliebe für phantastische Welten ja auch eine Chance. Offensichtlich faszinieren diese Geschichten heute auch viele Menschen, die selbst nicht religiös sind. Das ist durchaus bemerkenswert. Denn die säkulare Aufklärung des 18. Jahrhunderts stand allen klassischen Märchen und Mythen skeptisch gegenüber. Es war die christlich geprägte Romantik, die in dieser Zeit den Wert von Märchen, Mythen und Sagen als Schulen unserer Einbildungskraft betonte. Und mehr noch: Im 20. Jahrhundert verdankt sich der neuere Aufschwung der Fantasyliteratur zwei christlichen Autoren: John R.R. Tolkien („Herr der Ringe“) und C.S. Lewis („Die Chroniken von Narnia“). Beide haben ausführlich Rechenschaft dafür abgegeben, warum sie diese Stoffe für so wertvoll halten.

Für Tolkien spiegelt sich in der Fantasie etwas zutiefst Menschliches. Wenn Menschen schöpferisch werden und andere Welten ersinnen, kann man darin einen Hinweis auf den Umstand erkennen, dass wir selbst Geschöpfe sind, Ebenbilder eines Schöpfers, der uns Anteil gibt an seiner Schöpferkraft. Auch für Lewis hatten die großen Mythen und Märchen einen wesentlichen Einfluss auf seinen Weg vom Atheismus zum christlichen Glauben. In den phantastischen Stoffen der Literatur bemerkte Lewis zuerst, wie menschlich die Sehnsucht nach einer anderen, vollkommeneren Welt ist.

Ja, zu einem gewissen Anteil mag Fantasy Weltflucht sein. Und vielleicht ist es ja auch mehr. Vielleicht ist das heute der Ort, wo sich hartnäckig der Traum von einer anderen Welt hält. Der Traum von Erlösung, vom Sieg über das Böse, von Versöhnung und Frieden. Offenbar gehört das Bedürfnis nach Geschichten von Hoffnung und Erlösung zum Menschen.

Große Erzählungen

Auch im Kino ist inzwischen der Siegeszug des seriellen Erzählens unaufhaltsam. Lange Zeit hatten Fernseh- und Filmreihen das immer gleiche Schema: Vertraute Helden, ob James Bond oder Superman, lösen immer neue Probleme. Sie treffen auf Superschurken, die die Welt bedrohen – und besiegen sie. Jede Folge neu.

Ende des 20. Jahrhunderts setzt mehr und mehr ein Trend zum seriellen Erzählen ein. Serien entwerfen einen folgenübergreifenden Sinnhorizont. Sie schaffen eine komplexe Welt, in der sie ihre Figuren anspruchsvolle Entwicklungen durchleben lassen. Im Kino hat schon die erste „Star Wars“-Trilogie eine solche Logik vorgelegt. Marvel hat dieses serielle Erzählen im vergangenen Jahrzehnt auch im Kino zum Maß aller Dinge gemacht.

Das Interessante an dieser Entwicklung ist: Ungefähr zur gleichen Zeit riefen postmoderne Philosophen das Ende aller großen Erzählungen aus. Die großen Visionen der Neuzeit, dass die Welt durch den Kommunismus, die Marktwirtschaft oder einen Gottesstaat einmal vollendet wird, verlieren an Plausibilität. Vielmehr sei die Weltgeschichte ziel- und planlos. Wer Visionen hat, möge zum Arzt gehen.

In dem Maße, wie der Glaube an große Entwürfe in der Politik abnahm, breiten sich diese großen Erzählungen im Kino aus. Woher kommen wir? Gibt es einen Sinn in allem? Offensichtlich gibt es ein tiefes Sinnbedürfnis, das Leben im Ganzen zu deuten. Wenn nicht mehr in der Politik, so wenigstens in Serien und Filmen.

Heldenreise – oder Heldendämmerung

Helden alten Schlags wie der frühe James Bond hatten keine Biographie. Sie blieben konstant, wie ihr Getränkegeschmack („Wodka Martini, geschüttelt, nicht gerührt“). In den neuen Großerzählungen ist die innere Entwicklung des Helden ein zentrales Motiv.

Viele Formate orientieren sich dabei an den Mustern, die vom Mythologie-Professor Joseph Campbell in seinem Konzept der Heldenreise schon für die klassischen Mythen der Menschheit beschrieben worden sind. Am Anfang lernen wir Helden in ihrer alltäglichen Welt kennen, aus der sie durch eine Berufungserfahrung herausgerissen werden. Angesichts einer großen Gefahr müssen sie sich auf einen Weg der persönlichen Entwicklung begeben, der sie über alle ihre bisherigen Grenzen hinausführt. Begleitet von Freunden, vor allem aber auch durch einen weisen Mentor (Yoda, Dumbledore, Gandalf …), machen die Helden die Erfahrung einer tiefgreifenden Verwandlung. In äußerster Gefahr müssen sie ihr Leben riskieren oder opfern, um das Böse zu besiegen. Nur durch selbstlose Hingabe zur Rettung der Welt lässt sich die Katastrophe verhindern.

Auch wenn viele Superheldenfilme einander in dieser Grundlogik verblüffend ähnlich sind, wird das Publikum ihrer nicht überdrüssig. In diesem Schema werden Grundfragen des Lebens aufgegriffen: Wie bestehe ich in meiner Angst vor gefährlichen Entscheidungen? Wofür will und kann ich mein Leben einsetzen?

In den vergangenen Jahren zeigt sich eine interessante Entwicklung. Viele Filme wiederholen die bekannte Logik wieder und wieder. Zugleich gibt es einen unverkennbaren Trend zu gebrochenen Helden. In Serien wie „House of Cards“ oder „Breaking Bad“ stehen regelrechte Antihelden im Zentrum. Vor allem „Game of Thrones“ hat in den vergangenen Jahren das Bild des makellosen Helden nachhaltig in Frage gestellt. Auf den Bildschirmen und Leinwänden kommt es zu einer zunehmenden Ausweitung der Grauzonen.

Der Abschluss der dritten „Star Wars“-Trilogie 2019 ist in dieser Hinsicht besonders erkenntnisreich. Für die Teile VII–IX gab es wohl eine grundsätzliche Rahmenidee, aber den Regisseuren J.J. Abrams (Teile VII und IX) und R. Johnson (Teil VIII) ließ man weitgehend freie Hand für ihre Filme. Vor allem „The Last Jedi“ ist ein Bruch mit der bisherigen „Star Wars“-Logik. Den bisher strahlenden Helden der Saga Luke Skywalker zeigt dieser Teil verbittert und frustriert. So manche vermeintliche Heldentat erscheint in fraglichem Licht. Die Grenzen von Gut und Böse werden unscharf. Teil IX ist wieder weitaus näher dran an der klassischen Logik. Das Böse ist einfach böse. Weil es so ist und immer war. Die Guten werden geprüft. Aber am Ende wird (fast) alles gut.

Diese innere Spannung der letzten Trilogie ist symptomatisch und interessant. Es stört unsere Gewöhnung an klassische Maßstäbe der Erzählkunst, wenn Fortsetzungen bisherige Weichenstellung ignorieren oder Filmcharaktere gegen den Strich bürsten. Mit wachsendem Abstand dürfte sich dies als typisch für die gegenwärtige Entwicklung der Film- und Serienwelt herausstellen. Star Wars VII–IX war auf diesem Niveau die erste postmoderne Collage, in der ein Stoff nicht mehr aus einer Grund­idee heraus entwickelt wurde, sondern Widersprüche und Spannungen nebeneinander stehenbleiben durften.

Das ist auch theologisch spannend: Die Welt ist so zerrüttet, dass sie nur von Superhelden gerettet werden kann. Aber wie soll diese Welt welche hervorbringen, ohne dass diese ebenfalls Anteil an der Zerrissenheit menschlicher Lebensverhältnisse haben? Wenn es um die Welt so problematisch bestellt ist, wie es die Dystopien unserer Serienwelten voraussetzen, bedürfte es Lösungen, die gleichzeitig von dieser und nicht von dieser Welt sein müssten, um sie greifen zu können. Höchstens Gott könnte solche Spannungen auflösen. Aber ist das nicht gerade die Pointe des Neuen Testaments?

Lesen Sie den Text auch in der Printversion in der neuen Ausgabe des Christlichen Medienmagazins pro. Bestellen Sie die Zeitschrift kostenlos und unverbindlich hier oder telefonisch unter 06441/5667700.

Von: Thorsten Dietz, Professor für Systematische Theologie an der Evangelischen Hochschule Tabor und Privatdozent an der Universität Marburg

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