„Süddeutsche“-Autor gesteht fiktiven Mord

Ein bizarrer Vorgang beschäftigt den deutschen Literaturbetrieb: Thomas Steinfeld, Feuilleton-Chef der "Süddeutschen Zeitung", hat unter Pseudonym einen Krimi veröffentlicht. Darin wird ein bekannter Journalist ermordet, der starke Ähnlichkeit mit FAZ-Herausgeber Frank Schirrmacher hat.
Von PRO

"Der Sturm" lautet der Titel des Romans, der nächste Woche im S. Fischer Verlag erscheint, der schwedische Autor heißt angeblich Per Johansson und lebt in Berlin. Als sich die Tageszeitung "Die Welt" für ein Interview auf die Suche nach ihm machte, stieß sie auf Ungereimtheiten. Der Autor gebe keine Interviews, teilte der Verlag mit. Die Übersetzerin, eine "Alexandra Grafenstein", war ebenfalls nicht zu finden. In Schweden sei das Buch unter seinem Originaltitel "Stormen" nie erschienen, frühere Veröffentlichungen des Schriftstellers existieren nicht, berichtet Richard Kämmerlings am Dienstag in der "Welt".

Der Roman beginnt mit der detaillierten Beschreibung einer teilweise verwesten männlichen Leiche, "etwas, was einmal ein Mensch gewesen war, aber was nun zerteilt, auseinandergerissen und zerfetzt war, Knochen, Knorpel, Kleidungsreste". Der Ermordete, der im Krimi den Namen Christian Meier trägt, sei ein sehr bekannter deutscher Journalist gewesen, heißt es im Roman. "Die Welt" berichtet, dass die Beschreibung dieses Journalisten an zahlreichen Stellen "unverkennbare" Hinweise auf den Herausgeber der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung", Frank Schirrmacher, enthält. Die Anspielungen seien für den deutschen Zeitungsleser "eindeutig", so das Blatt.

Warum nun sollte ein schwedischer Autor, den es scheinbar gar nicht gibt, so besessen von Frank Schirrmacher sein, "dass er ihn als Vorbild für eine Romanfigur nimmt, der er einen so hässlichen Tod andichtet", sich gar "manisch an ihm abarbeitet?", fragt Kämmerlings. Suche man nach der Lektüre des Romans mit einer Rasterfahndung nach dem Autor, so fahnde man nach einem halbwegs bekannten Mitglied des deutschen Kultur- und Medienbetriebs mit einem besonderen Verhältnis zu Schweden, Bob Dylan und Frank Schirrmacher.

Ermittlungen führen zur "Süddeutschen"

"Nun gibt es eine Person, auf die alle diese Merkmale in perfekter Weise zutreffen", so der Bericht: Der Feuilleton-Chef der "Süddeutschen Zeitung", Thomas Steinfeld, müsse hinter dem Roman stecken. Er habe in Schweden als Sprachlehrer gearbeitet, liebe Bob Dylan und habe die Radaktion der FAZ 2001 im Streit mit Schirrmacher verlassen.

Diese Spekulation der "Welt", im Original noch wesentlich detailreicher, hat ein großes Echo in den deutschen Medien ausgelöst. Erinnerungen an Martin Walsers Schlüsselroman "Tod eines Kritikers" wurden geweckt: Darin wird ein Literaturkritiker ermordet, der verblüffende Ähnlichkeit mit Marcel Reich-Ranicki hat. Nach zwei Tagen hat Steinfeld nun eingeräumt, als einer von zwei Autoren hinter "Der Sturm" zu stecken. In einer Mitteilung an die Deutsche Presse-Agentur (dpa) erklärte er jedoch, Frank Schirrmacher sei kein Vorbild für seine Figur Christian Meier gewesen.

Der tote Chefredakteur sei vielmehr eine "abstrakte, idealtypische Gestalt", in die einige aktuelle Themen sowie Züge vieler Kulturjournalisten eingeflossen seien. Es sei "abenteuerlich", diese auf eine Person "und zudem einen respektierten Journalisten" zu übertragen. Alle Ereignisse und Figuren im Buch seien fiktiv.

Verlag zerknirscht, Schirrmacher desinteressiert

Der S. Fischer-Verlag zeigte sich zerknirscht. Bei der "Inszenierung des Pseudonyms" sei man zu weit gegangen. "Wir hätten die reale Existenz von ‚Per Johansson‘ in dieser Form nicht behaupten sollen", sagte Programmgeschäftsführer Jörg Bong. Er bedauere zutiefst, dass der Eindruck entstanden sei, Passagen des Romans könnten sich gegen Schirrmacher richten. Der Verlag will nun die Bewerbung des Buches auf seiner Internetseite überarbeiten.

Der FAZ-Herausgeber selbst zeigte sich angesichts des "publizistischen Racheaktes" ("Die Welt") gelassen: "Ich lese keine Schweden-Krimis", erklärte er auf Nachfrage. (pro)

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