Studie zur Integration: Leben in der Parallelgesellschaft

Die große Mehrheit der in Deutschland lebenden Migranten ist nicht ausreichend integriert. Das "Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung" hat am Montag eine Studie vorgelegt, die belegt, dass insbesondere türkischstämmige Menschen im Vergleich zu den Deutschen ohne Migrationshintergrund klare Defizite aufweisen. Das Problem sei bereits in den Schulen zu beobachten, so die Experten.
Von PRO

In Deutschland leben 7,3 Millionen Menschen ohne deutsche Staatsangehörigkeit. Hinzu kommen acht Millionen Menschen, die zwar einen deutschen Pass besitzen, aber einen so genannten Migrationshintergrund haben, also solche, deren Eltern oder Großeltern nach 1949 nach Deutschland gekommen sind. Zusammen ergibt das fast ein Fünftel (19 Prozent) der hier lebenden Bevölkerung, bereits jedes dritte Kind wird in einer solchen Familie geboren – schon die Zahlen machen deutlich, dass Integration in Zukunft eine immer wichtigere Rolle in Deutschland spielen wird.

Dass es bei gelingender Integration um mehr gehen muss, als Kopftuchverbot oder Moscheenbau, verdeutlicht eine neue Studie (pdf), die am Montag vom „Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung“ vorgestellt wurde. Das Institut beschäftigt sich mit Fragen der demografischen Veränderungen. „Ungenutzte Potentiale – zur Lage der Integration in Deutschland“ heißt die neue Studie. Untersucht wurde, inwiefern es hier lebenden Ausländern und Menschen mit Migrationshintergrund gelingt, sich erfolgreich zu integrieren. Bildungsabschluss, Beruf, Einkommen, Anzahl bikultureller Ehen sind nur einige der untersuchten Kriterien.

Die Forscher in Berlin entwickelten einen „Index zur Messung von Integration“, der auf einer Skala zwischen 1 (missglückte Integration) und 8 (gelungene Integration) den Grad an erfolgreicher Integration beschreiben soll. Zudem wurden die Ergebnisse nach der Herkunftsregion der Menschen aufgeschlüsselt.

Leben in der Parallelgesellschaft

Das Ergebnis ist erschreckend: „Zugewanderte sind im Durchschnitt schlechter gebildet, häufiger arbeitslos und nehmen weniger am öffentlichen Leben teil als die Einheimischen“, so das Ergebnis der Untersuchung. Zudem wurden große Unterschiede zwischen den ethnischen Gruppierungen offengelegt: Während vor allem Menschen mit deutschen Wurzeln, die nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion nach Deutschland gezogen sind, und solche aus anderen EU-Ländern zu den Gewinnern zählen, sind etwa türkischstämmige Menschen nur  schlecht integriert: Fast jeder Dritte von ihnen (30 Prozent)  hat keinen Schulabschluss, nur 14 Prozent schaffen das Abitur. Das ist weniger als die Hälfte im Vergleich zur deutschen Bevölkerung. Entsprechend gering die beruflichen Aussichten: Sie sind häufig erwerbslos, die Anzahl an nicht erwerbstätigen Frauen („Hausfrauenquote“) ist hoch, viele beziehen Sozialhilfe. Hinzu kommt: 93 Prozent der hier lebenden Türkischstämmigen heirateten im eigenen Kulturkreis – eine Annäherung an die Mehrheitsbevölkerung finde faktisch nicht statt. Die meisten bewegten sich stattdessen in einer Parallelgesellschaft.

Das macht für viele das Erlernen der deutschen Sprache unnötig: Insbesondere nicht berufstätige Frauen erlernten die Sprache ihres Gastlandes seltener und könnten sie nicht an ihre Kinder weitergeben. Auch das Ergebnis der jüngsten Lesestudie  IGLU zeigt: Rund zwei Drittel der Kinder mit Migrationshintergrund können bis zum Ende der vierten Schulklasse nicht richtig lesen. Die Sprache sei aber ein Schlüssel zur erfolgreichen Integration, wie Reiner Klingholz, der Leiter des Instituts meint: „Wir haben uns viel zu lange daran gewöhnt, dass wir Grundschulklassen haben, in denen 80 Prozent kein Deutsch kann“, sagte er gegenüber dem „Spiegel“.

Unterschiedlichen (Bildungs-)Voraussetzungen

Doch nicht nur die Lage der türkischstämmigen Migranten ist laut Untersuchung ungenügend, auch Migranten aus anderen Herkunftsländern sind bislang kaum in Deutschland „angekommen“. Bei den acht untersuchten Herkunftsregionen schneiden nicht nur die türkischstämmigen Migranten, die auf der Integrationsskala nur den Wert 2,4 erreichen, schlecht ab: Auch solche aus dem ehemaligen Jugoslawien (3,2), aus Afrika (3,2) und dem nahen Osten (4,1) haben Schwierigkeiten. Mit Abstand am besten integriert sind Menschen, die aus anderen EU-Ländern (5,5, ohne Südeuropa) immigrierten, dann kommen die Spätaussiedler (5,1), Migranten aus dem Fernen Osten (4,6) und aus Südeuropa (4,4). 

Die Unterschiede zwischen den Ländern erklärt die Studie mit den unterschiedlichen (Bildungs-)Voraussetzungen, unter denen die Menschen nach Deutschland gekommen sind: So gehörten die Menschen aus den anderen EU-Ländern meist einer „Wanderungselite“ an. Sie kommen wegen hochqualifizierter Jobs nach Deutschland und integrieren sich unproblematisch. Auch die Spätaussiedler haben meist einen ausreichenden Bildungsstand vorzuweisen. Bei Südeuropäern, solchen aus dem ehemaligen Jugoslawien, dem Fernen Osten oder eben der Türkei sei dies nicht der Fall.

Doch die Voraussetzungen alleine können die schwierige Lage nicht befriedigend erklären. Die integrationspolitische Sprecherin der Grünen im Berliner Abgeordnetenhaus, Bilkay Öney, sieht das Problem vor allem in der ersten Generation. Gegenüber „Welt Online“ sagte sie: „Viele Türken leben mit dem Körper hier, mit dem Kopf und dem Herzen jedoch in der Türkei“. Deutschland hatte zu Zeiten des Wirtschaftswunders viele Gastarbeiter geholt und war davon ausgegangen, dass diese später wieder in ihr Heimatland zurückkehren würden. Der „Spiegel“ spricht von der „Erbsünde“ deutscher Ausländerpolitik.

Ein wenig Hoffnung bleibt aber doch: Allgemein steigt das Bildungsniveau der zweiten Generation unter den Migranten langsam an. Selbst unter den türkischstämmigen Migranten steigt der Anteil an Frauen, die das Gymnasium besuchen. Dennoch: Ein letzter Blick auf die Studie scheint das Gegenteil zu beweisen. „Selbst bei weiteren Verbesserungen würde es noch Generationen dauern, bis es zu einer Angleichung der Bildungswerte mit Einheimischen kommen kann.“ 

„Diskriminierende Lehrer“

Widerspruch erregte unterdessen das Ergebnis der Studie bei dem Islambeauftragten Bekir Alboga. Dass türkischstämmige Migranten schlechter integriert sind, sei eine Behauptung, die wissenschaftlich nicht belegt sei, sagte der Dialogbeauftragte des Moscheen-Dachverbandes DITIB der „Neuen Osnabrücker Zeitung“ am Montag.

„Es gibt kaum einen Berufszweig, in dem Sie nicht sehr vorbildliche türkischstämmige Menschen finden“, so Alboga. Er verwies auf viele erfolgreich integrierte türkische oder türkischstämmige Politiker, Autoren oder Journalisten. Außerdem sprächen die meisten türkischstämmigen Migranten der dritten Generation perfekt Deutsch.

Ein Grund, warum nur so wenige der hier lebenden Menschen mit türkischen Wurzeln keinen oder nur einen geringen Schulabschluss erreichten, sieht Alboga in den hiesigen Lehrkräften: Viele Kinder hätten es in der Schule „mit diskriminierenden Lehrern zu tun gehabt“. Als Ergebnis hielt er fest: Gemessen an der zu geringen staatlichen Förderung sei die Integration türkischstämmiger Menschen dennoch sehr erfolgreich.

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