Studie: „Jugendliche basteln sich eigene Religion“

In der Schweiz sind vier von fünf Jugendlichen überzeugt, dass ein Gott oder etwas Göttliches existiert, wie eine Studie zeigt. Doch mit der Bibel wollen die meisten nichts zu tun haben. Das will die Reformierte Kirche ändern – und gründete eine offizielle Jugendkirche, die "Streetchurch".
Von PRO

Es ist kein gewöhnlicher Gottesdienst, der einmal im Monat in der Kirche St. Jakob mitten in Zürich stattfindet. Die biblische Botschaft wird dort  „jugendgerecht mit Videoprojektionen, einem Rapper und einem Gospelchor aufgepeppt „, schreibt die Zeitschrift „Schweizerischer Beobachter“. Rund 300 bis 350 Jugendliche zwischen 13 und 16 kommen regelmäßig in den Gottesdienst, davon 100 Konfirmanden. Diese sind meistens nicht freiwillig dort, denn wer konfirmiert werden will, muss eine bestimmt Anzahl von Gottesdienstbesuchen aufweisen können.

Reformierte werden in der Schweiz mit 16 Jahren konfirmiert, bei Katholiken findet die Firmung im Alter zwischen 12 und 16 statt. Die 15-jährige Olivia aus Benglen hat sich gegen die Konfirmation entschieden. „Die Konfirmation ist eine Bestätigung der Taufe. Das ist nicht das, womit ich mich identifiziere.“ Sie will sich zwar nicht konfirmieren lassen, glaubt aber trotzdem an einen Gott. Und damit ist sie unter Gleichaltrigen nicht alleine, denn vier von fünf Jugendlichen glauben, dass es einen Gott oder etwas Göttliches gibt. Zu diesem Ergebnis kommt eine Studie, die im Rahmen des Nationalen Forschungsprogramms „Religionen in der Schweiz“ durchgeführt wurde.

Mehr glauben an einen Gott als an Astrologie

Für die Erhebung wurden in der deutschsprachigen Schweiz etwa 750 Jugendliche zu ihrer Religiosität, ihren Wertvorstellungen und ihrer Identität befragt. So zeigt die Studie auch, dass der Glaube an Gott höher gewertet wird als der Glaube an Astrologie, Heilkraft von Steinen und Wahrsagerei. Unklar bleibt allerdings, welche Gestalt dieser Gott oder das Göttliche für die Jugendlichen annimmt.

Jugendliche befänden sich in diesem Alter in einer Phase, in der sie auf Identitätssuche seien und wichtige Lebensentscheidungen treffen müssten. „Sie wählen ihre Ausbildung, ihren Beruf, ihren Partner, ihre Werte, ihren Freizeitstil  –  und auch ihre Religiosität oder Areligiosität“, sagte Jörg Stolz, Leiter des „Observatoire des religions en Suisse“, der religionssoziologischen Dokumentationsstelle zur Erhebung und Analyse des Religionswandels in der Schweiz.

Olivia selbst steht kritisch zu dem Gott, von dem ihr in der Kirche erzählt wird: „Mein Gott ist nicht so, wie ihn die Kirche darstellt. Die Kirche hat ein genaues Bild von Gott. Er hat die Erde in sieben Tagen geschaffen. Woher wollen sie das wissen? Das kann ja jeder erzählen.“ Für Olivia bedeutet Gott vielmehr eine „übermenschliche Kraft, die über uns ist“ und die sie als Intuition erlebt. Was Olivia sagt, scheint sich heute bei vielen Jugendlichen  abzuzeichnen, schreibt der „Beobachter“. Viele Jugendliche schaffen sich ihren eigenen Gott und nehmen sich dabei das von der Religion, was ihnen gefällt.

„Jugendliche machen sich Minimum-Religion“

Diese „sozial tolerierte Minimum-Religion“ sei seit den 1990er Jahren an die Stelle der konfessionellen Religiosität getreten, sagte Dominik Schenker, Theologe und Mitautor des Buches „Ansichten vom Göttlichen“, in dem 22 Jugendliche ihre religiösen Weltbilder erklären. Diese Minimum-Religion beinhalte den Glauben an eine undefinierbare höhere Macht ohne Dogmen und Bekenntnisse. Sie sichere auch nicht das Heil der Seele, sondern gebe Halt im Alltag. Außerdem verlange die Minimum-Religion noch nicht einmal die Veränderung des Lebensstils. Religiöse Einstellungen, die dieses Minimum allerdings überschritten, fielen sofort unter einen Begründungszwang gegenüber anderen. So könne ein Mensch als Ritual eine Kerze in der Kirche anzünden, ohne dass dies hinterfragt werde. Sobald es mehr als ein Ritual sei, müsse man dies begründen und werde schnell in die Sektiererecke geschoben, so Schenker.

Laut der Studie finden mehr als die Hälfte der Bekehrungen im Alter zwischen 15 und 25 Jahren statt. Dennoch haben die Kirchen Angst, dass viele Jugendliche den Anschluss an die Kirche verlieren, auch wenn die Erhebung zeigt, dass „nur rund 16 Prozent der Minderjährigen in der Deutschschweiz echte Atheisten“ sind. Aus diesem Grund setzen sie nun auf „zeitgemäße Jugendkirchen“ wie die „Streetchurch“. (PRO)

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