Studie: Anteil religiöser Menschen nimmt zu

Der Anteil religiöser Menschen in der Bevölkerung könnte wieder zunehmen. Nicht etwa, weil Religiosität eine Renaissance aus innerem Antritt erlebe, sondern weil religiöse Menschen deutlich mehr Kinder bekommen als nicht-religiöse. Das zeigt die aktuelle Studie "Glaube, Macht und Kinder" des Berlin-Instituts für Bevölkerung und Entwicklung.
Von PRO

Der amerikanische Publizist Phillip Longman geht davon aus, dass die Religion Menschen hilft, sich mit existenziellen Fragen und Unsicherheiten des Lebens auseinanderzusetzen. Die schwindende Bedeutung der Religion in säkularisierten Gesellschaften wird einerseits dem steigenden Bildungsstand der Bevölkerung und andererseits dem zunehmenden Wohlstand zugeschrieben. Das heißt, dass mit der Entwicklung und wachsendem materiellen Wohlstand die Hinwendung zu höheren Mächten überflüssig wird. Konkret bedeutet das, dass Menschen in besonders armen Ländern religiöser sind, heißt es in der Studie "Glaube, Macht und Medien".

Weiterhin geht Longman davon aus, dass durch das Auftreten säkularer und nicht-patriarchalischer Gesellschaftsformen die Geburtenrate vieler moderner Länder gesunken ist. Liberale Gesellschaften fördern die Gleichstellung der Geschlechter, investieren in Bildung und die wirtschaftliche Unabhängigkeit der Frau. Wo die Geburtenrate in europäischen Ländern noch steigt, geschieht dies fast ausschließlich durch Zuwanderung und durch höhere Geburtenrate der Zuwanderungsgruppen. Das zeigte die Studie des unabhängigen Instituts, das sich mit Fragen globaler demographischer Veränderung und der Entwicklungspolitik beschäftigt.

Besonders hoch ist die Religiosität in muslimischen Staaten, aber auch dort sank die durchschnittliche Kinderzahl und liegt mittlerweile unter drei Kindern je Frau. Ursache für diese Entwicklung scheint nicht so sehr die Säkularisierung zu sein, als vielmehr das Wohlstandswachstum und der steigende Bildungsstand, besonders bei Frauen. Dass die Fertilitätsrate bei wirtschaftlicher Entwicklung zurückgeht, scheint ein typischer Trend in Entwicklungsländern zu sein.

In Deutschland bekennen sich etwa fünf Millionen Menschen zum Islam. In manchen Stadtvierteln könnten sich Muslime und ihre Nachkommen in den kommenden Jahren zu einer Bevölkerungsmehrheit entwickeln. Doch in dem Maße, wie Menschen muslimischen Glaubens in die Gesellschaft integriert werden, dürfte sich auch ihre Fertilitätsrate reduzieren, heißt es in der Studie. Die Bedeutung patriarchal-fundamentalistischer Einflüsse ihrer Religion müsste mit wachsender sozialer und wirtschaftlicher Integration abnehmen, schreiben die Autoren.

Für stark säkularisierte Staaten der westlichen Welt stellt sich allerdings eine andere Frage. Wenn sich nämlich Gläubige egal welcher Religion mehr fortpflanzen als Nicht-gläubige, müsste der Anteil der Gläubigen in der Bevölkerung irgendwann wieder zunehmen. Die Säkularisierung würde dann zum Stillstand kommen. Dies scheinen die Daten teilweise zu belegen. Aus Befragungen des Berlin-Instituts für Bevölkerung und Entwicklung geht hervor, dass institutionalisierte Formen der Religiosität kontinuierlich zurück gingen. So besuchten 1970 in Westdeutschland noch 30 Prozent regelmäßig einen Gottesdienst, 1999 waren es nur noch 15 Prozent. Interessanterweise gehen diese Fakten aber nicht mit einem kontinuierlichen "Abwenden vom Glauben" einher. Mit Ausnahme von Schweden glauben in allen untersuchten europäischen Ländern über 50 Prozent der Menschen an Gott.

Gläubige und Kinder

Christlich-konservative Theologen vertreten die Annahme, dass sich der Grad der Religiosität einer Gesellschaft auf das reproduktive Verhalten auswirkt. Für Europa ließ sich tatsächlich feststellen, dass religiöse Menschen mehr Kinder haben als nicht-religiöse. Dieser Unterschied war vor allem in den Ländern sehr deutlich, in denen die Kirche in den 1990er Jahren einen starken Einfluss auf die öffentliche Meinung hatte. Hier hatten religiöse Frauen deutlich mehr Kinder als nicht-religiöse, während der Unterschied in säkularen Gesellschaften wesentlich kleiner war. Je religiöser also das Land, desto größer der Unterschied zwischen der Kinderzahl von religiösen und nicht-religiösen Frauen. Auf die Gesamtfertilitätsrate der Länder hatte das jedoch keinen Einfluss.  So weisen die stärker säkularisierten Staaten Europas insgesamt ein höheres Geburtenniveau auf. Die Autoren ziehen daraus den Schluss, dass je stärker sich die Geburtenrate von religiösen und nicht-religiösen Menschen in einem Staat unterscheidet, um so mehr mangelt es diesem Staat an einer modernen Familienpolitik. Die von Kirche und Religion geprägten Länder propagieren eine traditionelle Arbeitseinteilung der Geschlechter. Deswegen und aufgrund des Mangels an Kinderbetreuungseinrichtungen ist die Kombination von Beruf und Familie immer schwerer zu realisieren.

Ein neues Glaubensverständnis

Für Entwicklungsländer ließ sich also ein eindeutiger Zusammenhang zwischen steigendem Wohlstand und sinkender Kinderzahl feststellen. In den Industrienationen sinken aber weder Religiosität noch Kinderzahlen zwingend. Eine mögliche Erklärung dafür wäre, dass Gesellschaften mit gut ausgebautem Sozialstaat ihr eigenes Bedürfnis nach Religiosität ausbilden, so die Autoren. Dabei gehe es dann nicht mehr darum, existenzielle Unsicherheiten zu kompensieren. Vielmehr ginge es darum, angesichts des materiellen Überflusses dem Leben Sinn zu geben und die eigene Existenz in einen größeren Zusammenhang zu setzen. Wenn also der Anteil religiöser Menschen wieder steigt, bedeutet das nicht zwingend den Rücktritt in eine patriarchalische und antiliberale Gesellschaft, so die Autoren der Studie. Das Wiedererstarken der Religiosität in Europa könnte der Sinnsuche von Menschen entsprechen, die die materielle Not nicht mehr kennen. (pro)

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