Streit ums Kinder-Kopftuch

Frauenrechtler laufen Sturm gegen das Kopftuch bei Kindern. Ein Verbot aber könnte die Religionsfreiheit zu sehr einschränken, sagen andere. Wie hart umkämpft das Thema ist, hat nun eine Pressekonferenz in Berlin gezeigt.
Von Anna Lutz
Ab wann sollten Muslmiinnen Kopftuch tragen? Sollten sie es überhaupt? Diese Frage beschäftigt Gläubige, Wissenschaftler und die Politik.

Immer dann, wenn Religionsfreiheit und Kinderrechte konkurrieren, geraten politische Debatten gerne aus dem Ruder. Das hat der Streit um die jüdische und muslimische Beschneidung vor einigen Jahren gezeigt. Und das wird auch heute wieder deutlich. Denn Frauen-, Kinderrechtler und Religiöse haben ein neues Schlachtfeld eröffnet. Darauf geht es um das Kopftuch für Kinder, besonders für die unter 14 Jahren.

Am Donnerstag lud die Frauenrechtsorganisation Terre des Femmes in Berlin zu einer Pressekonferenz zum Thema. Der Verein stellte dort eine Petition gegen das sogenannte Kinder-Kopftuch vor. Die Unterschriftensammlung unter dem Titel „Den Kopf frei haben“ gibt es schon länger. Unter 10.000 Personen gaben laut Initiatoren bisher ihre Unterschrift dafür her. Mit genauen Angaben hält man sich zurück. Mindestens 100.000 sollen es werden. Eine entgegengerichtete Petition unter dem Titel „Deine Stimme gegen das Kopftuchverbot“ hat bereits knapp 140.000 Unterstützer.

Gute Argumente auf beiden Seiten

Die Argumente erscheinen auf beiden Seiten einleuchtend. Terre des Femmes beklagt eine Sexualisierung von Kindern. Wer schon Fünfjährige vor den Blicken der Männer schützen wolle, halte wohl alle muslimischen Männer für Pädophile und gehe zudem davon aus, dass schon Kinder sexuelle Reize besäßen, erklärte etwa die Moscheegründerin und Rechtsanwältin Seyran Ates, die als Sprecherin für ein Kopftuchverbot zur Pressekonferenz gekommen war. Die Kinderärztin Sigrid Peter sprach davon, dass die „Rechte der Kinder mit Füßen getreten“ würden. Verschleierte Mädchen litten unter Bewegungseinschränkungen, trieben seltener Sport und seien schlechter mit Vitamin D versorgt. Die Direktorin des Frankfurter Forschungszentrums Globaler Islam stellte fest: „Im Koran steht nichts vom Kopftuch.“ Viele Wissenschaftler und Theologen betrachteten es als politisches Symbol. Für Terre des Femmes, auch das wurde am Donnerstag klar, ist das Kopftuch an sich ein Symbol der Unterdrückung der Frau.

Doch es gibt auch diejenigen, die das Kopftuchverbot verhindern wollen. Unter dem Hashtag „Nicht ohne mein Kopftuch“ twitterten in den vergangenen Wochen Tausende über ihre Gründe, das Kopftuch zu tragen. Zahlreiche Islamisten und islamistische Gruppen hatten nachweislich dazu aufgerufen. Seriöse Medien wie der Spiegel trugen Stimmen unverdächtiger Muslime zusammen, die sich gegen ein Verbot aussprachen und um ihre Religionsfreiheit fürchteten. Der Vorsitzende des Zentralrats der Muslime in Deutschland, Aiman Mazyek, erklärte in der Aachener Zeitung: „Kein Zwang zum Kopftuch und keinen Zwang, es nicht zu tragen.“

Der Tagesspiegel kommentierte bereits im April zum Thema: „Es ist dem Staat nicht von vornherein verwehrt, in solche religiösen Angelegenheiten mit Verboten hineinzuregieren – aber wenn, dann sollte er es zunächst bei schweren und vor allem irreversiblen körperlichen Eingriffen und gegenüber allen Religionen gleichermaßen tun.“ Die Zeit argumentierte: „Die Bürger selbstbestimmt leben zu lassen heißt auch, sie selbstbestimmt glauben zu lassen. Und das Ideal der Toleranz hochzuhalten verlangt auch, über Ärgerliches, sogar Schädliches bei Gläubigen und Andersgläubigen hinwegzusehen.“ Und auch pro äußerte sich in einem Kommentar: Wer in die Religionsfreiheit von Eltern eingreifen wolle, müsse das gut begründen. „Der Beweis, dass das Kopftuch das Kindeswohl gefährdet, steht aus. (…) Bevor nicht auch im Falle des Kopftuchs bei Unter-14-Jährigen Fakten ausgewertet, Argumente ausgetauscht und die Sachlage genau unter die Lupe genommen worden ist, sind politische pros und contras reiner Populismus.“

Journalistische Fragen unerwünscht

Es gibt also wie bei vielen sensiblen religionspolitischen Themen ein Für und Wider. Terre des Femmes hat neben Ates noch andere prominente Unterstützer für das Kopftuchverbot gefunden. Islamkritikerin Necla Kelek etwa. Aus der Ferne ließen am Donnerstag Schauspielerin Sibel Kekilli, der Tübinger Oberbürgermeister Boris Palmer, Kaberettistin Lisa Fitz oder Autor Ahmad Mansour grüßen und unterstützten das Anliegen durch druckfähige Zitate. Doch die Frauenrechtler beklagen sich darüber, dass ihre Petition nicht recht in Gang kommt. Die Bundesgeschäftsführerin von Terre des Femmes, Christa Stolle, erklärt sich das damit, dass viele Angst hätten, als Rechte abgestempelt zu werden. Deshalb verweigerten auch große Petitionsplattformen die Aufnahme der Unterschriftensammlung, sagte sie.

Entsprechend angespannt gaben sich die Initiatoren bei ihrer eigens einberufenen Pressekonferenz zu Nachfragen der Journalisten. Sie erklärten zwar, Eltern schickten ihre Kinder immer häufiger mit einer Bedeckung in den Kindergarten oder die Grundschule. Als eine taz-Journalistin mehrmals nach konkreten Zahlen fragte, wurde Ates rasch ungehalten. „Ein einziges Mädchen, das das Kopftuch trägt, reicht doch aus“, sagte sie und erklärte unter lauter Zustimmung zahlreicher Unterstützer im Raum, sie verstehe nicht, warum die Medien immer Zahlen für jedes gesellschaftliche Problem brauchten.

Auf die Entgegnung der Kollegin, sie versuche nur, präzise zu arbeiten, folgte Gelächter. „Ein Witz ist das“, rief eine Frau. Auch ein Journalist des Deutschlandfunks, der nach den politischen Unterstützern für das Kopftuchverbots fragte, wurde mit lautem Protest im Saal bedacht. Aus Sorge wohl, dass seine Frage Terre des Femmes in die Nähe der AfD rücken könnte. Denn tatsächlich sind es auch Rechte, die das Anliegen des Kopftuchverbots unterstützen. Neben ihnen aber auch Politiker wie Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner (CDU) oder FDP-Chef Christian Lindner.

Nordrhein-Westfalen hat bereits im Frühjahr angekündigt, ein Kopftuchverbot bei Mädchen unter 14 Jahren zu prüfen. Die Petition von Terre des Femmes soll Bundesjustizministerin Katharina Barley übergeben werden, wenn genug Stimmen zusammengekommen sind. Befürworter und Gegner eines Verbots werden noch ausreichend Zeit haben, Argumente auszutauschen. Dass das besonnen und ruhig geschehen wird, ist unwahrscheinlich. Auf Schlachtfeldern geht es schließlich selten fair zu.

Von: Anna Lutz

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