Streit um „Schöpfung und Evolution“ in der Schule

Der 1. Vorsitzende der Deutschen Evangelischen Allianz, Michael Diener, hat Position für die Bekenntnisschulen in einem aktuellen Streit bezogen: Eine Empfehlung des „Verbandes Evangelischer Bekenntnisschulen“ (VEBS) legt seinen Mitgliedsschulen nahe, Evolution und deren Kritik daran im Unterricht gleichermaßen durchzunehmen. Ein Professor für Paläontologie und Geobiologie an der Freien Universität Berlin hatte in der Tageszeitung Die Welt dagegen protestiert: Eine Gleichstellung von biblischem und naturwissenschaftlichem Weltbild sei „falsch und gefährlich“.
Von PRO

Der Verband Evangelischer Bekenntnisschulen (VEBS) will nach eigener Aussage bei Schulgründungen und bei der Fortbildung von Lehrern helfen, Lehrerstellen vermitteln und für den Austausch von Know-how und didaktischer Konzeptionen sorgen. Zu seinen Aufgaben zählt er zudem die Schaffung einer biblisch orientierten Lehrerausbildung sowie die Erstellung von Lehr- und Lernmaterial, das an christlichen Werten orientiert ist. Im November 2012 gab der Verband eine Stellungnahme zu der Frage heraus, „wie der Themenbereich Schöpfung und Evolution an christlichen Bekenntnisschulen zur Behandlung gelangen könnte“.

Der Text stammt vom Theologen und ehemaligen Gymnasiallehrer für Biologie und Mathematik Reinhard Junker. Er ist Geschäftsführer der Studiengemeinschaft Wort und Wissen, welche die auf der Bibel gründende Schöpfungslehre den Aussagen der Evolutionstheorie gegenüber stellt. Die Mitglieder sind der Meinung, dass die heute noch bestehende Monopolstellung der Evolutionslehre beim derzeitigen Stand der Forschung mit wissenschaftlichen Argumenten nicht zu rechtfertigen ist.

Die Schrift Junkers betont, dass beim Thema „Schöpfung und Evolution“ im Unterricht theologische und naturwissenschaftliche Aspekte getrennt voneinander behandelt werden müssten. Allerdings gebe es „Grenzen der Naturwissenschaft“, denn manche Fragen seien durch Naturwissenschaft nicht beantwortbar. In der Stellungnahme heißt es: „Beim Thema ‚Schöpfung und Evolution‘ geht es um Fragen des Ursprungs, die nicht experimentell untersucht werden können. Die Naturwissenschaft hat hier die Rolle des Indizienlieferanten. Indizien  sind in der Regel aber nicht eindeutig. Eine Offenheit für verschiedene Deutungen ist daher gefordert.“ Eine übernatürliche Schöpfung wird als Ausgangspunkt für die Deutung naturwissenschaftlicher Daten deklariert. Weiter fordert Junkers Schrift die sachgemäße Darstellung der Evolutionstheorie im Unterricht. „Dabei soll den staatlichen Bildungsplänen Rechnung getragen werden“, betont die Empfehlung für die Schulen. „Ziel ist, den Schülern ein eigenes Urteil zu ermöglichen auf der Basis einer ausgewogenen Darstellung der biblischen Zusammenhänge einerseits und der naturwissenschaftlichen Daten und Theorien andererseits.“ Betont wird zudem eine „unideologische Vorgehensweise“. Das solle jedoch in beide Richtungen gelten: „Der prinzipielle Ausschluss von anderen Antworttypen als Evolution, also die Festlegung auf Evolution, ist Ausdruck einer Ideologisierung.“

„Falsch und gefährlich“

Schüler würden danach „in grotesker Weise falsch über das Wesen der Wissenschaft unterrichtet“, ist Reinhold Leinfelder, Professor für Paläontologie und Geobiologie an der Freien Universität Berlin, überzeugt, wie er in einem Interview mit der Tageszeitung Die Welt sagte. Die Stellungnahme, die auf der Webseite des Verbandes Evangelischer Bekenntnisschulen steht, sei „falsch und gefährlich“, da Junker darin die biblische Schöpfungslehre der Evolutionstheorie gleichberechtigt auf eine Stufe stelle. Der Text suggeriere zwar, „dass man die wissenschaftliche Evolutionstheorie achten und würdigen wolle“, praktiziere aber „das Gegenteil“, sagte Leinfelder, der zwischen 2006 und 2010 Generaldirektor des Berliner Naturkundemuseums war.

Wissenschaft sei nicht bloß eine „Philosophie, eine Art Weltanschauung“, wie von Junker behauptet, und es könne keine „Harmonisierungsmöglichkeiten“ zwischen Wissenschaft und religiösen Anschauungen geben. Denn Wissenschaft und Religion seien „zwei völlig unterschiedliche Kategorien, die nicht dasselbe beschreiben“, fuhr Leinfelder fort. „Wenn die Evolutionstheorie bestimmte Phänomene nicht erklären kann oder Lücken in der Befundlage feststellt – was zum täglichen Brot der Wissenschaft gehört –, dann muss weiter geforscht, müssen die Hypothesen überprüft werden. Es besteht aber keinerlei Anlass, den Glauben in die Lücken springen zu lassen.“

Junker hat in früheren Texten für „Wort und Wissen“ bereits zu diesem Vorwurf Stellung bezogen. In seinem Text „Das Design-Argument und der Bastler-Lückenbüßer-Gott“ etwa schreibt er: „Beim Design-Argument geht es nicht darum, Platz für Gottes Schöpfung zu verschaffen, sondern die Argumentation lautet umgekehrt: Weil zuerst dem biblischen Schöpfungszeugnis geglaubt wird, stellt sich als zweites die Frage, ob und wie Gottes Schöpfungshandeln an den Dingen erkennbar ist, die er durch sein Wort, durch Kraft, Weisheit und Einsicht geschaffen hat.“ Viele Phänomene könnten „besser verstanden werden, wenn man einen Schöpfer annimmt, als wenn es nur ungerichtete Naturprozesse gäbe.“ Gott sei aus biblischer Perspektive kein Lückenbüßer, „sondern seine Tätigkeit wirkt sich so aus, dass sich für den Naturwissenschaftler Lücken zeigen: Bestimmte Prozesse laufen eben von alleine nicht ab, weil sie ein zielorientiertes Handeln erfordern.“

Auch eine mögliche Kritik hat Junker in seinem Text antizipiert. In seiner VEBS-Empfehlung schreibt er: „In der Öffentlichkeit wird behauptet, eine kritische Behandlung von Evolutionstheorien und die Erörterung von Schöpfungs-Alternativen sei gefährlich. Diese Gefahr wird oft nicht konkretisiert, wenn doch, wird eine Wissenschaftsfeindlichkeit von Evolutionskritikern und Befürwortern der biblischen Schöpfungslehre behauptet.“ Der Autor macht hier einen Zirkelschluss aus: Eine Wissenschaftsfeindlichkeit wird damit begründet, dass die Evolution wahr sei, und wer diesen Glauben angreife, sei eben unwissenschaftlich.

Grüne Ministerin mit Sorge

Wie Die Welt schreibt, sei auch die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) dagegen, dass Naturwissenschaft und Schöpfungslehre gleichgestellt werden. Ihr Arbeitskreis Evangelischer Schulen (AKES) als Plattform für Schulen in Trägerschaft von Diakonie und verfasster Kirche unterhalte zwar keinerlei offiziellen Kontakte zum VEBS. „Doch einige seiner Mitgliedsschulen arbeiten im AKES mit und veröffentlichen auf dessen Homepage ihre Grunddaten.“ Die Leiterin der Bildungsabteilung im EKD-Kirchenamt, Birgit Sendler-Koschel, sieht es „kritisch, dass der VEBS diese Empfehlungen veröffentlicht hat“, wie sie der Zeitung sagte. Sie befürchte, dass der Eindruck entstehen könne, „dass es sich hier um Empfehlungen für evangelische Schulen im Allgemeinen handelt“. Das aber sei nicht der Fall, fügte sie hinzu. „Vielmehr halten wir diese Empfehlungen für extrem verunklarend. Sie verwischen den grundlegenden erkenntnistheoretischen Unterschied zwischen einerseits den biblischen Schöpfungserzählungen und andererseits der naturwissenschaftlichen Forschung, wie sie in der Evolutionstheorie ihren Ausdruck findet.“

Auch die nordrhein-westfälische Schulministerin Sylvia Löhrmann (Grüne) kritisiert die VEBS-Stellungnahme: „Die geltende Rechtslage lässt keine Freiräume für die Behandlung des Themas ‚Schöpfung und Evolution‘ in der von Herrn Junker vorgeschlagenen Form zu“, teilte das Ministerium auf Anfrage von Die Welt mit. Auch christliche Bekenntnisschulen seien an die geltenden Richtlinien und Lehrpläne gebunden, und laut denen werde im Biologieunterricht „ganz klar auf der Basis naturwissenschaftlich belegbarer Beweisführung Evolution unterrichtet“.

Gelassenheit in Bayern und Berlin

Ganz anders sieht es das SPD-geführte Kultusministerium in Baden-Württemberg. Dort heißt es, laut jener Stellungnahme solle ja „den staatlichen Bildungsplänen Rechnung getragen werden“. Auch die Senatsverwaltung für Bildung in Berlin, wo es eine VEBS-Mitgliedschule gibt, sieht jene „Ausführungen zur Evolution und Schöpfungslehre an christlichen Bekenntnisschulen als durch das Gesetz gedeckt“ an.

VEBS-Generalsekretär Berthold Meier betont, dass es sich lediglich um eine Empfehlung für die Mitgliedsschulen handele, deren Umsetzung „von den jeweiligen Lehrkräften abhängt“. Im Übrigen störe es ihn, „immer wieder auf dieses Thema festgenagelt zu werden. Es macht einen sehr kleinen Bruchteil der Lebenswirklichkeit einer christlichen Schule aus. Die Schwerpunkte der Schulen liegen eindeutig im pädagogischen und sozialen Bereich“, schrieb Meier an den verantwortlichen Redakteur Matthias Kamann, der jedoch nicht weiter aus Meiers E-Mail, die pro vorliegt, zitierte. Die VEBS sei nicht fundamentalistisch, sondern bekenntnisgebunden im Sinne des Grundgesetzes. „Das Betreiben von Bekenntnisschulen wird von der Rechtsprechung als Grundrecht angesehen“, schreibt Meier. Dass der Verband Junkers Stellungnahme auf der Website öffentlich gemacht und nicht verbandsintern an die Schulen verschickt habe, entspringe dem „Bemühen um Transparenz und Hinterfragbarkeit angesichts der seit Jahren gegen uns erhobenen Vorwürfe“.

Allianz-Vorsitzender: "Gutachten wird falsch dargestellt"

Michael Diener, 1. Vorsitzender der Deutschen Evangelischen Allianz, sagte auf Anfrage von pro, der VEBS habe offenbar mit seinem Gutachten zur allgemeinen Transparenz beitragen wollen. „Dieses Gutachten von Herrn Junker wird einseitig und auch nachweislich falsch dargestellt und interpretiert“, so Diener. „Tatsache ist, dass sich natürlich sämtliche Schulen im Unterricht und die Inhalte an die vorgegebenen Lehrpläne und Unterichtssziele der einzelnen Bundesländer halten. Tatsache ist, das Bekenntnisschulen schon qua Gründung dazu aufgefordert sind, das eigene Bekenntnis in Dialog mit geltenden Weltanschauungen zu bringen.“ In den Schulen des VEBS gebe es keinerlei Festlegung auf den Kreationismus, betonte Diener, der Präses des Evangelischen Gnadauer Gemeinschaftsverbandes ist. „Unsere vielgerühmte plurale und offene Gesellschaft überbietet sich mal wieder darin, genau diese Pluralität nach Kräften zu beschneiden und zwar, indem Sachverhalte falsch oder einseitig geschildert, in unzulässige Zusammenhänge gestellt oder verallgemeinert werden.“ (pro)

http://www.vebs-online.com/uploads/media/R__Junker_Evolution_und_Schoepfungslehre_an_christlichen_Bekenntnisschulen.pdf
http://www.welt.de/politik/deutschland/article115215588/Debatte-um-Kreationismus-an-Bekenntnisschulen.html
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