15 Seiten widmet der "Stern" Papst Benedikt XVI. Doppelseitige Fotos zeigen den Papst am Klavier, den Papst mit Sonnenbrille im Urlaub, den Papst mit einem iPad beim Veröffentlichen seiner ersten Twitter-Nachricht. Benedikt ist in allen Medien vertreten, doch seine Botschaft verhallt ungehört. Der Papst und sein Heimatland: Zwei Welten, die unterschiedlicher nicht sein können. "Die Reihe seiner Gastgeber – vom wiederverheirateten und darum exkommunizierten Bundespräsidenten Christian Wulff bis zum gerade wiedergewählten schwulen Berliner Bürgermeister Klaus Wowereit – muss auf den Pontifex wie der personifizierte Untergang des christlichen Abendlandes wirken", ist im Artikel zu lesen. Es ist, als lebe Benedikt in einem anderen Jahrhundert, das mit den Begriffen "Zeitgeist" und "Modernisierung" nichts anzufangen weiß.
Doch dieses rostige Image hat nicht nur der Papst. Die Kirchen in Deutschland beklagen den Rückgang ihrer Mitglieder. Die Institution Kirche hat aus Sicht vieler Bundesbürger nichts mehr mit ihrem Alltag zu tun. Hunderttausende treten jedes Jahr aus. Trotzdem glauben zwei von drei Deutschen an Gott. "Der Papst besucht theologisches Krisengebiet – und das liegt nicht nur an den Missbrauchsfällen", schreibt der "Stern". Woran das liegen könnte, wird auf zehn Seiten beschrieben.
Theologen, Unternehmer und normale Bürger kommen zu Wort und sind sich einig: Der Kirche – katholisch wie evangelisch – fehle der Bezug zum Menschen. Der "Freie Theologe" Jochen Jülicher war früher katholischer Pfarrer und sagt über das Erzbistum Köln: "Da geht es zu wie in einer Großbank." Der Umgang dort sei rücksichtslos, und die Haltung gegenüber Frauen und Homosexuellen hätte er nicht teilen können. Heute betreibt er die Ich-AG "Anders heiraten" und traut Paare, zum Beispiel in ihrem Lieblingslokal. Das Geschäft läuft gut, im Gegensatz zu dem der katholischen Kirche: Bei den Katholiken habe sich die Zahl der Gottesdienstbesucher seit 1990 von 28 auf 14 Prozent halbiert, schreibt der "Stern". Bei den Protestanten besuchten gerade einmal vier Prozent regelmäßig den Gottesdienst.
"Ich will an Weihnachten nichts über Afghanistan hören"
Dabei habe der "Religionsmonitor" der Bertelsmann-Stiftung gezeigt, dass sich 70 Prozent der Deutschen als "religiös" bezeichnen und bei jedem Zweiten eine ausgeprägte Spiritualität vorhanden sei. Und schaue man in die Regale der Buchhandlungen, sei die Sehnsucht nach Glauben nicht zu übersehen. Doch der Kirche bringen viele kein Vertrauen mehr entgegen. Die katholische Kirche stehe laut einer Umfrage auf der Vertrauensskala sogar hinter Großbanken. Die Skandale der letzten Jahre seien ein Grund dafür. Obwohl große Kritik am Pflichtzölibat herrsche und nur die kaum jemand die Lehren über Sex vor der Ehe noch ernst nähme, wehrten sich viele Bischöfe gegen Reformen. "Gewachsene und gereifte Überzeugungen wirft man nicht einfach über Bord", sagt der Limburger Bischof Franz Peter Tebartz-van Elst gegenüber dem Magazin.
Auch der Papstbesucht trüge zur Unglaubwürdigkeit der Kirche bei. 25 bis 30 Millionen Euro kosten die vier Tage, die Benedikt in seinem Heimatland verbringt. "Warum muss der Papst so viel Geld für Repräsentation ausgeben und in Afrika sterben Kinder?", fragt sich Thorsten Kirschke, evangelischer Christ aus Karlsruhe. Wegen dieser "Scheinheiligkeit" sei er aus der Kirche ausgetreten und spende den Betrag der Kirchensteuer lieber. Tatsächlich gehe es den Kirchen finanziell sehr gut: Neun Milliarden kämen jährlich durch die Kirchensteuer zusammen, 45 Milliarden durch Diakone und 460 Milliarden zahlten Bundesländer.
Die Gründe für die Krise der Kirche seien aber auch vor Ort zu suchen. "Die Bibel liest sich besser, als die meisten Texte derer, die sie von Amts wegen auslegen", sagt der Publizist Wolf Schneider. Er stellte fest, dass viele Hörer überhaupt nicht verständen, was der Pfarrer vorne auf der Kanzel rede. Inhaltlich bemängelte er das "permanente Politisieren". "Ich will an Weihnachten nichts über Afghanistan hören. Dass es dort schwierig ist, habe ich am Vormittag in der Zeitung gelesen", so Schneider. Dabei habe das Christentum so viel zu sagen über Kreativität, Scheitern, Angst und Hoffnung.
Ansätze eines Aufwärtstrends sind trotzdem zu erkennen. Die evangelische Kirche bietet seit kurzem "Kurse für den Glauben" an. Die "Modernen Performer" sind die Zielgruppe. Multi-Media und "attraktives Fingerfood" sollen der Botschaft der Kirche eine neue Attraktivität verleihen. Dabei sei laut "Stern" auch der direkte Kontakt zu den Gemeindegliedern wichtig. Für 70 Prozent der Bevölkerung sei der Pfarrer so etwas wie ein Vorbild. Ein Beispiel für funktionierende Kirche liefert der Artikel zum Abschluss: Pfarrer Klaus Möller aus Dresden gehe auf die Leute in seinem Viertel zu und seine Predigten seien immer Anregungen zum Weiterdenken. In seiner Gemeinde sei die Zahl der Mitglieder von 2007 bis 2010 um fast zehn Prozent gestiegen. Das Durchschnittsalter betrage 35. Diese Zahlen seien ermutigend, so der "Stern". Von Möller könne die Kirche lernen. (pro)