Die Rolle der Kirchen werde in unserer Gesellschaft eher gering- als überschätzt, so Steinbrück. „Ich halte das für einen großen Fehler und gebe zu, dass ich auch hier in den vergangenen Jahren einiges dazugelernt habe in vielen Begegnungen mit Menschen, die – gerade auch ehrenamtlich engagiert – viel von der Kraft ihres Glaubens an unsere Gesellschaft weitergeben.“ Er sei überzeugt, „dass Kirche in unserer Gesellschaft nach wie vor eine wichtige Rolle spielt – in Fragen des Glaubens ebenso wie in jenen Bereichen unserer Gesellschaft, die auf die Solidarität einer starken Gemeinschaft, ja, die auf wahre Nächstenliebe angewiesen sind“.
Religion und Glaube seien „starke Bindekräfte in einer Gesellschaft, auf die starke Fliehkräfte einwirken“. Dies betreffe die „Spannungen und Gegensätze zwischen Arm und Reich, zwischen Jung und Alt, zwischen jenen, die Arbeit haben und jenen, die keine Arbeit bekommen“. Wenn der Staat unter wirtschaftlichen Druck gerate und soziale Veränderungen anstünden, werde in Zukunft die Frage noch dringender, wie die Gesellschaft zusammenhalte. „Ich bin überzeugt, dass es auf diesem Weg einen deutlich intensiveren, auf manchen Gebieten auch deutlich entkrampfteren Dialog zwischen Politik und Kirchen geben muss“, so der Minister. „Dabei wird natürlich auch das Thema der Wertevermittlung und Werteerziehung eine große Rolle spielen. Denn Menschen brauchen und suchen einen Kompass, der ihnen den Weg durch eine Welt weist, die immer unübersichtlicher wird.“
Steinbrück weiter: „Ich glaube, wir alle sind uns darin einig, dass wir es mit Erscheinungsformen wie ausgeprägtem Egoismus, Gier, Rücksichtslosigkeit, Gewaltverharmlosung oder mit dem Raubbau auch an den natürlichen Ressourcen zu tun haben, die den gesellschaftlichen Frieden und unsere Lebensgrundlagen in Frage stellen.“
„Die Kirche lebt, die Kirche ist jung!“
Dabei stelle er fest, dass der christliche Glaube „Kraft im Alltag der Menschen“ besitze. Dies habe er besonders bei den Reaktionen auf die Wahl Benedikts XVI. und bei dessen Besuch in Deutschland bemerkt. Als Hunderttausende vor allem junge Menschen aus der ganzen Welt „ausgelassen feierten und mit großer Ernsthaftigkeit und in friedlicher Stille gemeinsam beteten“, habe man sehen können, was Papst Benedikt am 24. April 2005 bei seiner Amtseinführung bewegte, als er vor Hunderttausenden Menschen auf dem Petersplatz ausrief: „Die Kirche lebt, die Kirche ist jung!“
Am vergangenen Donnerstag hatte Steinbrück in der Apostolischen Nuntiatur Berlin einen Erstdruck der Papst-Sonderbriefmarke an den Apostolischen Nuntius, Erzbischof Josef Ender, und den Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz, Kardinal Karl Lehmann, übergeben. Normalerweise werden ausschließlich Bundespräsidenten bereits zu Lebzeiten auf Postwertzeichen abgebildet. Die Sonderbriefmarke im Wert von 55 Cent ist seit dem 12. April 2007 in den Postfilialen erhältlich. Sie ist 10,4 Millionen Mal aufgelegt.