Statt Kirchenbesuch: Beichten 2.0

Der Besuch im Beichtstuhl einer katholischen Kirche ist für viele nicht mehr zeitgemäß. Doch das Bedürfnis, Schandtaten und Sorgen mitzuteilen, bleibt. Die Beichte im Internet wird immer populärer, berichtet die Wochenzeitung "Die Zeit".
Von PRO

„Die Beichtklappe geht auf: ‚Vater, ich habe gesündigt‘. Ein in unserer Kultur vertrautes Bild. Doch Szenen wie diese gehören in Deutschland schon lange nicht mehr zum Alltag“, heißt es im Beitrag „Das Netz als Beichtstuhl“ von „Zeit Online“. Besonders jüngere Menschen wüssten oft gar nicht, welche Erleichterung die Beichte mit sich bringe, zeige ein Bericht des Bistums Münster. „Doch es sündigt der Mensch, solang‘ er lebt. Wohin also mit dem schlechten Gewissen, wenn der Beichtstuhl zu unbequem geworden ist?“

Hunderte Beichten gehen mittlerweile pro Tag auf Beicht-Webseiten online. Manche sind ernst gemeint, viele als Spaß. „Über 11.000 Sünden online!“ wirbt www.sinr.de. Dazu die Einladung „Befreie Deine Seele!“

Auf www.istdasnormal.com überwiegen wahrscheinlich die witzig gemeinten „Beichten“. Veröffentlicht werden nicht nur Sünden, sondern auch Eigentümlichkeiten. „Ich liebe den Saft im Gurkenglas. Ist das normal?“, schreibt einer, ein anderer: „Ich rede oft mit mir selbst. Vor allem wenn ich meine Haare föhne. Dabei erfinde ich mir ein neues Leben. Ist das normal?“ Aber auch ernst gemeinte Beiträge finden sich darunter. „Ich gebe meinen ganzen Lohn für Alkohol aus“, beichtet einer. Die anderen Besucher der Seite können abstimmen und die Frage beantworten, ob das wirklich normal ist.

Etwas ernster und ausführlicher geht es im beichthaus.com zu. Die Nutzer entscheiden über eine mögliche Vergebung. Alle Beichten sind anonym, was wohl den Reiz der Online-Beichte ausmacht. „Ich bestelle meinen Nachbarn die Zeugen Jehovas nach Hause. Man kann sie online einladen und sie erscheinen gewissenhaft pünktlich zur gewünschten Zeit“, beichtet ein User. Eine Leser entrüstet sich über die Geständnisse eines Fremdgehers: „Ich finde, Leuten wie dir sollte man mit einem ziemlich scharfen Messer ein X auf die Stirn ritzen, damit jeder genau weiß, an wem er ist, wenn er mit dir zu tun hat.“ „Die Zeit“: „Gestanden wird alles, dessen sich Menschen schuldig machen können. Von skurrilen Kleinigkeiten wie ‚Ich gebe in Bewerbungen immer an, Swahili sprechen zu können‘, bis hin zu großkalibrigen Straftaten: ‚Dann war da auf einmal diese Radfahrerin. Sie hatte Vorfahrt, doch ich habe sie total übersehen. Sie starb auf dem Weg ins Krankenhaus. Ich hatte 1,2 Promille Alkohol im Blut.'“

Das Geschäft mit dem Beicht-Ersatz

Alle drei Beichtseiten gehören Robert Neuendorff, der 2004 die Geschäftslücke entdeckte. „Der entscheidende Antrieb war damals, dass Freunde und Kollegen eine Plattform suchten, auf der sie einer breiten Masse ihre Taten mitteilen können und auch Hilfestellung erhalten“, sagt er gegenüber „Zeit Online“. Auf seinen Seiten werden bis zu 300 Geständnisse am Tag virtuell abgelegt, geordnet nach Kategorien. Bislang sind es insgesamt 24.000 virtuelle Beichten. Die Seite finanziert sich über Werbebanner.

Eine Konkurrenz zur Kirche möchte Neuendorff nicht sein. „Die Beichte im Internet kann ein persönliches Gespräch mit einem Priester nur schwer ersetzen. Für die meisten User sind jedoch die Meinungen anderer Menschen wichtig. Viele können oft hilfreichere Ratschläge liefern, als eine einzelne Person bei der traditionellen Beichte in der Kirche.“

Die katholische Kirche sieht das anders. Denn im Netz seine Sünden zu gestehen, ist kein Akt, der Zeit, Mühe oder Überwindung kostet. Bei den meisten Angeboten reicht es, sein Fehlverhalten in ein Formularfeld zu schreiben und abzuschicken. Außerdem fehlt meistens ein ernstgemeinter Wunsch, sich zu bessern. „Sünden werden da garantiert nicht vergeben. Bei vielen dieser Dinge fehlt die Reue, und die ist bei der Beichte das Wichtigste“, sagt Christian Sieberer, katholischer Pfarrer aus Österreich. Ein „Vaterunser“ oder der Rosenkranz bleiben dem virtuellen Sünder erspart. Dennoch: „Es tut gut, sich das hier einmal von der Seele zu schreiben“, beendet eine Userin ihre Beichte. Die Webseite formuliert es nach getaner Beichte jedoch selbst eher vorsichtig: „Wenn Sie Ihre Verfehlungen wirklich bereuen, wird Ihnen wahrscheinlich vergeben“, heißt es da. (PRO)

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