„Star auf der Kanzel“: Chemnitzer Evangelist Theo Lehmann wird 90

Zu DDR-Zeiten kamen Tausende junge Menschen zu seinen Gottesdiensten nach Chemnitz. Es gab Blues, politische Botschaften und viel Humor. Der besonders in Ostdeutschland bekannte Evangelist Theo Lehmann wird am Mittwoch 90 Jahre alt.
Von Jörn Schumacher
Theo Lehmann hat seine Kritik an der DDR geschickt in seinen Predigten verpackt

In Ostdeutschland ist er der wohl bekannteste Evangelist. Zu seinen monatlichen Jugendgottesdiensten kamen regelmäßig mehrere tausend junge Menschen aus der ganzen DDR in die Chemnitzer Schlosskirche. Zu seinen Markenzeichen gehörten klare und pointiert formulierte Predigten, Blues-Musik sowie sein Humor. In einem Interview mit ERF Medien zur Frage, was sein Erfolgsrezept war, sagte der Theologe selbst: „Es gab keine Fremdwörter, die Musik war anders, ich hatte keinen Talar an, es gab keine Liturgie, natürlich waren die Predigten ein großer Anziehungspunkt.“

Weil er in der DDR für Freiheit und die Wahrheit des Evangeliums kämpfte, hatte ihn die Staatssicherheit ganz besonders im Blick. Bis hinein in sein engstes berufliches und privates Umfeld hatte die Stasi Spitzel auf ihn angesetzt. Sogar zwei seiner besten Freunde haben ihn ausspioniert, erfuhr Lehmann nach der Wiedervereinigung aus seinen Stasi-Akten.

In einem Interview mit PRO sagte Lehmann 2014, sein Leitsatz habe immer gelautet: „Ein Prediger muss bereit sein, für das, was er gepredigt hat, sofort aufs Schafott zu gehen.“ Er berichtet auch von den Restriktionen, welche die Stasi plante. So wollte die Staatssicherheit der DDR beispielsweise einmal den Strom für das gesamte Viertel rund um seine Kirche abstellen, „um Panik auszulösen“. Doch es sei nie dazu gekommen. „Gott hat uns beschützt in jeder Hinsicht.“ In einem anderen Interview sagte der Pastor, er habe – wie Martin Luther King – immer eine Zahnbürste dabei gehabt, für den Fall, dass er verhaftet würde. Die Zahnbürste signalisierte: „Ich bin bereit, für das, was ich sage, in den Knast zu gehen.“

Gegen Homosexualität im Pfarrhaus und gegen Corona-Maßnahmen

Als Theodor Lehmann wurde er am 29. Mai 1934 in Dresden als drittes Kind des Missionars Arno Lehmann geboren. Sein Vater, der 1984 verstarb, war ebenfalls evangelischer Theologe sowie Missionar in Indien und später Professor für Religions- und Missionswissenschaft.

Lehmann studierte in Leipzig Theologie, wo er über das Thema „Gospel und Negro Spirituals“ zum Doktor der Theologie promovierte. Auch später schrieb er Texte zum Thema schwarze Musik und Gospel und veröffentlichte 1966 das erste in der DDR erschienene Buch über den Blues. Von 1964 bis 1976 war er Pfarrer in Karl-Marx-Stadt (heute Chemnitz). Von 1976 bis zu seiner Pensionierung 1998 war er Landesevangelist der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Sachsens. Lehmann schrieb mehrere Bücher sowie Liedtexte, in seinen Gottesdiensten spielte Blues eine große Rolle. Zu seinen engen Mitarbeitern gehörten der evangelisch-freikirchliche Pastor und Liedermacher Jörg Swoboda sowie der Liedermacher Wolfgang Tost.

Im Mai 2003 wurde Lehmann wegen seiner oppositionellen Haltung in der DDR mit der Sächsischen Verfassungsmedaille ausgezeichnet. Er habe zu jenen Menschen in der DDR gehört, „die die friedliche Revolution erst möglich gemacht haben“, hieß es in der Begründung der Jury. „Offen übte er Kritik an den politischen und gesellschaftlichen Verhältnissen und geriet daher in das Fadenkreuz der Staatssicherheit.“ Jörg Swoboda schrieb über ihn: „In Kälte, Verlogenheit und Angst, in dem oft würdelosen Schweigen der Mehrheit ist Theos große Klappe für viele ein Hoffnungsstrahl der Menschenwürde. Er hat die ostdeutschen Machthaber durchschaut, dass sie ihre eigene Ohnmacht durch Imponiergehabe vertuschen.“ Im Jahr 2006 wurde Lehmann außerdem durch die Kirchliche Sammlung um Bibel und Bekenntnis in Bayern der Walter-Künneth-Preis verliehen.

Auch geprägt durch seine eigene Einschränkung während der DDR-Zeit legte Lehmann stets Wert auf ein authentisches Christentum auch unter Bedrängnis. „Was wir brauchen, sind bibelfeste und notfalls auch feuerfeste, KZ-fähige Christen.“ Im Jahr 2012 unterzeichnete er die „Markersbacher Erklärung“, laut der „praktizierte Homosexualität mit der Heiligen Schrift nicht vereinbar“ ist. Die Unterzeichner stellten sich gegen die Regelung, dass eingetragene Lebenspartnerschaften im Pfarrhaus gelebt werden können.

2019 zog sich Lehmann vom Predigtdienst zurück. Doch auch im Alter bleibt er politisch aktiv und äußert sich zu gesellschaftlichen Themen. So nahm Lehmann an Demonstrationen der CEGIDA teil, dem Chemnitzer Ableger von PEGIDA („Patriotische Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes“). Er kritisierte die Kirche zudem für die in der Pandemie durchgesetzten Corona-Schutzmaßnahmen und für die fehlende Aufarbeitung dieser Zeit. Er selbst habe sich nie gegen Corona impfen lassen, sagte er in einem Interview, deswegen sei er vom Gottesdienst und vom Abendmahl ausgeschlossen worden.

Ein großer Einschnitt in seinem Leben war der Tod seiner Tochter vor drei Jahren durch einen Verkehrsunfall. „Das lässt einen nie los. Aber ich sehe keinen Grund, an Gott zu zweifeln“, sagte er kürzlich in einem Interview mit ERF Medien. „Selbst wenn ich den Sinn hinter diesem Tod nicht sehe. Aber es passiert nichts, ohne dass Gott es zulässt.“ Lehmann lebt in einem Altenpflegeheim in Radebeul. Er habe einige „Wehwehchen“, die aber für alte Menschen normal seien, „unterm Strich“ gehe es ihm aber gut, sagte er.

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