Stalin gegen Jesus

1988 flimmerte in der DDR ein Film über die Kinoleinwände, den es so in der Diktatur nicht hätte geben dürfen. "Einer trage des anderen Last" lautet der Titel des Klassikers, der zeigt, wie aus einem Christen und einem Marxisten Freunde werden. Am Mittwoch lief das Werk in einem Kino in Berlin – und sorgte erneut für Aufruhr.

Von PRO

Es ist ein wenig, als wäre die Premiere des nächsten "Hobbit"-Films vorverlegt worden: Im UCI-Kino "Colosseum" mitten in Berlin-Prenzlauer Berg drängen sich die Gäste. Eine Traube hat sich um eine Mitarbeiterin mit Restkarten gebildet. Jeder will noch eines der kostenlosen Tickets ergattern, bis schließlich ein Ordner einschreitet: Man solle der Dame doch wenigstens Raum zum Atmen lassen, sagt er. Als sie die letzte Eintrittskarte verteilt hat, spricht Erleichterung aus ihrem Gesicht. "Also damit haben wir nicht gerechnet", sagt sie.

In der Tat ist es überraschend, dass nicht ein Hollywood-Blockbuster oder das neueste Werk des deutschen Kinostars Matthias Schweighöfer für diesen Menschenauflauf im Szeneviertel gesorgt haben, sondern ein Klassiker aus dem Jahr 1988. Ein DDR-Film noch dazu. Und einer, in dem es um den Glauben geht. "Einer trage des anderen Last" ist der Auftakt-Film in einer Reihe des Ökumenischen Arbeitskreises Prenzlauer Berg mit dem Titel "Glaube und Kirche in DDR-Filmen". Wegen der großen Nachfrage zeigten die Veranstalter den Streifen kurzerhand zusätzlich in einem weiteren Kinosaal. Trotzdem gingen einige enttäuscht nach Hause, weil sie keine Karte mehr ergattern konnten.

Ein Christ opfert sich

Die Geschichte des Spielfilms von Regisseur Lothar Warneke ist schnell erzählt: Anfang der 50er Jahre treffen sich der linientreue Marxist und Kommissar der Volkspolizei, Joseph Heiliger, und der evangelische Vikar Hubertus Koschenz in einem Lungensanatorium in der DDR. Auf den ersten Blick haben die beiden Männer nur eine Gemeinsamkeit: Sie sind an Tuberkulose erkrankt. Dennoch müssen sich der Christ und der Sozialist ein Zimmer teilen. Heiliger bringt zunächst ein Bild Stalins über seinem Bett an, Koschenz seinerseits zieht es vor, unter den Augen Jesu Christi zu ruhen. Heiliger liest abends Lenin, Koschenz die Bibel. Der Marxist lädt im Sanatorium zur Parteiversammlung, der Christ zur Bibelstunde. Doch mit der Zeit werden aus den Glaubenskonkurrenten Freunde, die erkennen, dass sie ein großer Teil ihrer Lebensanschauungen verbindet.

Als Koschenz ein neues und seltenes Medikament gegen Tuberkulose aus der Schweiz erhält, spendet er es schließlich Heiliger. Seine Begründung klingt, versetzt man sich in die 80er Jahre der DDR zurück, fast revolutionär: Wenn schon einer sterben müsse, erklärt der Christ, dann solle es doch er selbst sein. Schließlich habe er eine Hoffnung, die über den Tod hinaus trage. Für einen Atheisten hingegen müsse das Sterben doch grauenhaft sein.

Ein verbotener Film

25 Jahre ist es her, seit "Einer trage des anderen Last" erstmals über die Leinwand flimmerte. Das Ende der DDR war bereits eingeläutet. Nur wenige Tage vor der Premiere, am 17. Januar 1988, waren über hundert Bürgerrechtler bei der Liebknecht-Luxemburg-Demonstration festgenommen worden, weil sie mit Plakaten gegen die SED-Diktatur protestiert hatten. Dutzende wurden anschließend in die BRD ausgebürgert. Die Stimmung bei der ersten Vorführung des Films sei entsprechend eisig gewesen, erinnert sich Horst Dohle, ehemaliger Referent des Staatssekretärs für Kirchenfragen der DDR. Er war damals dabei, ebenso wie Vertreter der SED und der Kirchen. Zum Themenabend des Ökumenischen Arbeitskreises im Prenzlauer Berg ist er ebenfalls erschienen und mit ihm Altbischof Axel Noack und Koschenz-Darsteller Manfred Möck.

Dass sich heute noch so viele Menschen für den Film interessieren, bewegt Dohle zutiefst. Dabei ist die Tatsache, dass er überhaupt produziert werden konnte, so etwas wie ein Wunder. Bereits 1972 habe es erste Pläne zur Realisierung des Drehbuchs gegeben, berichtet Dohle. Doch das Projekt lief gar nicht erst an, es scheiterte an der SED-Kontrolle. Ende der 80er landete er dann doch in den Kinos und sorgte bis in den Westen hinein für Aufruhr. Bemerkenswert findet Dohle vor allem die Aussage des Stücks aus der DEFA-Schmiede, dem Filmunternehmen der DDR: "In diesem Film gibt es keine Sieger – kennen Sie sonst einen DEFA-Film, in dem es keine Sieger gibt?" Mit Blick auf das Drehbuch sagt er: "Wenn es in der DDR einen Dialog zwischen Marxisten und Christen gegeben hat, dann war das ein Dialog zwischen Minderheiten."

Für Axel Noack ist "Einer trage des anderen Last" auch eine Herausforderung dazu, nicht "banal über Toleranz zu sprechen". Tolerant zu sein bedeute, etwas hinzunehmen, das man für falsch halte. Wie schwierig dies sei, zeige der Film eindrucksvoll. Was kann die Kirche heute aus dem Plot lernen? Für den Atheisten Dohle steht fest: Kirche ist zu geschäftsmäßig, zu langweilig geworden. "Ich wünsche mir eine unbequeme Kirche." Die Sache mit Jesus Christus sei schließlich auch eine "verdammt unbequeme".

Von Januar bis Mai zeigt der Ökumenische Arbeitskreis Prenzlauer Berg jeweils einmal im Monat einen DDR-Film zum Thema Glaube und Kirche. Zu jedem Film gibt es eine Einführung und eine Gesprächsrunde mit Schauspielern und Zeitzeugen. Am 27. Februar zeigt der Arbeitskreis: "Ein irrer Duft von frischem Heu", am 20. März "Martin Luther, Teil 4: Hier stehe ich…", am 17. April "Thomas Müntzer" und am 26. Mai "Die Heiden von Kummerow und ihre lustigen Streiche". Die Filme laufen in der UCI Kinowelt Colosseum, jeweils um 20 Uhr. Die Vorführung im Mai beginnt um 17 Uhr. Der Eintritt ist frei. (pro)

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