„Spiegel“ über Evangelikale: Christliche Eiferer auf dem Feldzug

Ganze vier Seiten widmet das Hamburger Nachrichtenmagazin "Der Spiegel" in seiner aktuellen Ausgabe den evangelikalen Christen. Unter der Überschrift "Aufschwung Jesu" versucht sich Autor Peter Wensierski an einer Bestandsaufnahme des konservativen Teils der Christen in Deutschland. Sein Beitrag zeichnet mehr eine Drohkulisse denn eine sachliche Darstellung der Wirklichkeit. Von "christlichen Eiferern", vom "Kampf um die Zukunft der religiösen Landschaft" und "Feldzug" ist die Rede.
Von PRO

„Ihre Anhänger wettern gegen Homosexuelle und predigen ein ekstatisches Glaubensverständnis: Evangelikale Gruppen, organisiert nach amerikanischem Vorbild, haben sich auch in Deutschland ausgebreitet. Nun suchen sie Einfluss auf die Politik“, ist „Spiegel“-Autor Wensierski überzeugt. Er schreibt über das „Christival“, das ab Mittwoch in Bremen stattfindet, zeichnet die Debatten um einzelne Seminare nach, begibt sich auf einen Streifzug durch evangelikale Gemeinden in Deutschland und meint, evangelikale Christen in Deutschland mit jenen in den USA gleichsetzen zu können.

„Kampf um die Zukunft der religiöse Landschaft“

Da darf auch der Name George W. Bush nicht fehlen. „Wenngleich die Christival-Macher dem Druck ihrer Kritiker nachgaben und das Seminar zur Homosexualität absagten, so rücken die Bremer Ereignisse ein Phänomen in den Blickpunkt: den Aufschwung der ‚Evangelikalen‘, jener konservativen Protestanten, die in den USA so gut vernetzt sind, dass der mächtigste Mann der Welt, der mit ihnen sympathisierende amerikanische Präsident, sie sehr ernst nimmt. Sie nehmen die Bibel wortwörtlich, machen mobil gegen Homosexualität, gegen Sex vor der Ehe, gegen das Recht auf Abtreibung und die Darwinsche Evolutionstheorie. Sie wollen weltweit das Christentum voranbringen – Ungläubige und Muslime missionieren“, meint der „Spiegel“.

Bei allen Darstellungen von angeblichen evangelikalen Zielen – etwa, die Politik in ihrem Sinne zu beeinflussen – zeichnet der „Spiegel“ eine mächtige Drohkulisse, die von evangelikalen Christen ausgehen soll. „Der Kampf, wer in Zukunft die religiöse Landschaft in Deutschland bestimmen wird, hat begonnen“, meint Wensierski. Es gehe dabei etwa um die Zukunft der politischen Entscheidungen, die Evangelikale beeinflussen wollten.

Wenn Christen zum Engagement aufrufen

„Noch haben die Evangelikalen hier in Deutschland nicht den gleichen Einfluss wie in den USA, aber einen Plan dafür gibt es schon. Verfasst hat ihn Hartmut Steeb, der Generalsekretär des hiesigen evangelikalen Dachverbandes ‚Evangelische Allianz‘ – auch sie trägt das Christival mit. Der Vater von zehn Kindern fungiert als Netzwerk-Chef von 1,4 Millionen Evangelikalen. Schon im Jahr 2005 rief er zum langen Marsch in die Politik auf. Steebs Appell ‚Wir mischen mit‘, veröffentlicht im Evangelikalen-Blatt ‚Eins‘, klingt wenig nach Gott, aber sehr nach Macht.“ Wolfgang Baake, Geschäftsführer des Christlichen Medienverbundes KEP und Beauftragter der Evangelischen Allianz am Sitz der Bundesregierung, sagt gegenüber dem „Spiegel“-Autor: „Als Lobbyist spreche ich (…) mit den Abgeordneten und Mitgliedern der Bundesregierung über die für uns wichtigen Themen: den Schutz von Ehe und Familie, den Kampf gegen Sterbehilfe und Abtreibung, Einschränkung der künstlichen Befruchtung und Stammzellenforschung.“

Aufforderungen an Christen, sich in der Öffentlichkeit zu engagieren, sind für den „Spiegel“-Autor nicht in Einklang zu bringen mit der Tatsache, dass die großen Kirchen in Deutschland die fortschreitende Säkularisierung scheinbar hingenommen haben. „Deutschland gilt als säkular, Religion war im Land der Reformation kontinuierlich auf dem Rückzug. Jahr für Jahr lieferten die Kirchen neue Belege für die fortschreitende Säkularisierung – sechsstellige Austrittszahlen erwecken den Eindruck, als sei das Aussterben der Kirchen nur noch eine Frage der Zeit.“

Und aus diesem Grund klinge die Aufforderung an Christen, „den Mund aufzutun“, wie ein Appell „aus einer anderen Welt… Solch missionarischer Eifer passt wenig zu einem Land, das im Selbstbild eher nicht religiös ist“, meint Wensierski.

Streifzug durch Gemeinden

Das „unübersichtliche Spektrum evangelikaler Gruppierungen, die in der Evangelischen Allianz vereint sind“, profitiere von der neuen Sehnsucht nach Sinn. Der „Spiegel“-Autor begibt sich daher auf einen Streifzug durch zahlreiche Gemeinden und Verbände in Deutschland, die „Deutschland zum Missionsziel“ erklärt hätten. „Sie erleben einen Aufschwung Jesu. Ihr Kirchenverständnis ist leger in der Form – ihre Gottesdienste sind unkonventioneller gestaltet als die der etablierten Kirche. Inhaltlich aber sind sie konservativ und streng bibeltreu, pietistisch. Viele dieser Gruppen sind aus frommen Erweckungsbewegungen hervorgegangen, manche haben ihre Zentren in den USA, werden von dort aus unterstützt oder sogar gesteuert.“

Der Leiter der Evangelischen Zentralstelle für Weltanschauungsfragen in Berlin, Reinhard Hempelmann, bestätige das „Wachstumsphänomen“ evangelikaler Kräfte. Es sei „offensichtlich größer, als die Statistiken nahelegen“, und nicht nur „ein Protestphänomen gegen die fehlende Flexibilität“ der Amtskirchen. „Es fordert die Kirchen heraus.“ Berichtet wird von Gottesdiensten überwiegend freier Gemeinden und Initiativen, wie der „Biblischen Glaubensgemeinde“ in Stuttgart, mit rund 4.000 Besuchern einer der größten Gemeinden in Deutschland. Oder der „Konferenz für Gemeindegründung“, die „Anleitungen zur Missionsarbeit“ biete. „Beinahe Generalstabsmäßig“ sei diese geplant, so der „Spiegel“.

Kein Wort verliert Wensierski etwa darüber, dass rund 50 Prozent der evangelikalen Christen in der Evangelischen Kirche engagiert und damit Mitglieder der Landeskirche sind. Dass auf Landes- und Ortsebene zwischen Evangelischer Kirche und Evangelischer Allianz oftmals gute Beziehungen bestehen, die weniger von Konkurrenzdenken denn von Miteinander geprägt sind. Es ist vielmehr eine Drohkulisse, die der „Spiegel“-Autor zeichnet, ist doch vielfach von „christlichen Eiferern“, vom „Kampf um die Zukunft der religiösen Landschaft“ und einem „missionarischen Feldzug“ die Rede. Mit derlei überzogenem Vokabular lassen sich die Evangelikalen freilich leicht als reaktionäre Spinner darstellen, die eine Gefahr für Freiheit und Demokratie darstellen. Nur entspricht dieses Bild eben nicht der Realität – die der „Spiegel“ eigentlich abbilden sollte.

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