Dürfen Medien Radikalen eine Bühne bieten? Diese Frage hat diese Woche ein Artikel im Nachrichtenmagazin Der Spiegel vom vergangenen Samstag ausgelöst. Die Redakteure des „Sturmgeschützes der Demokratie“ hatten einen Provokateur porträtiert, der ebendiese Demokratie abschaffen will: Attila Hildmann. Hildmann wurde berühmt für seine vegane Kochkunst, doch in den vergangenen Monaten fiel er vor allem wegen seiner politischen Radikalisierung auf. Er verbreitete auf Corona-Demos antisemitische Verschwörungserzählungen, präsentierte sich mit schwarz-weiß-roter Fahne des Kaiserreichs, rief gar zur Gewalt auf.
Diesen Provokateur hat der Spiegel porträtiert – und dem einflussreichen Blog „Übermedien“ gefiel das gar nicht: „‚Spiegel‘ sieht Hildmann vor lauter Bäumen nicht“, titelt der Autor Stefan Niggemeier und spielt dabei auf die Tatsache an, dass die Spiegel-Reporter Hildmann zu einem Waldspaziergang trafen, was Hildmann vorgeschlagen hatte.
Natürlich nutzte Hildmann die Idylle in der Nähe des Wandlitzer Sees, um sich möglichst naturverbunden und tierlieb zu präsentieren. Einer der Höhepunkte des Artikels kommt gleich am Anfang: „Auf dem Waldweg liegt ein Käfer auf dem Rücken, er schafft es nicht aus eigener Kraft auf die Füße. Hildmann dreht ihn um und setzt ihn an den Wegesrand. Kein Tier soll leiden, wenn es nach Hildmann geht, dem veganen Kochbuchautor und Unternehmer. Der Grüne Volker Beck hingegen schon.“ Hildmann hatte für den Politiker die Todesstrafe gefordert und aufs Übelste gegen ihn gehetzt, worauf der ihn unter anderem wegen Volksverhetzung und Anstiftung zu einer Straftat angezeigt hatte.
Hildmann nimmt Rücksicht auf Tiere, hetzt aber gegen Menschen, kokettiert sogar im Gespräch mit den Reportern mehrfach mit Adolf Hitler und kündigt an, bald selbst „die Macht“ zu haben. Der Spiegel fasst das so zusammen: „Tiere schützen, Menschen schlachten, so recht passt das nicht zusammen.“ Und arbeitet sich dann daran ab, dass Hildmann sich ein völlig wirres und widersprüchliches Weltbild zusammenzimmert. Mit kritischen Fragen hält sich der Spiegel nicht zurück, erklärt Hildmanns Einfluss über den Nachrichtendienst Telegram und wie er die Strafverfolgungsbehörden über die Maßen beschäftigt, entlarvt dessen geplante Selbstinszenierung beim romantischen Waldspaziergang. Mit anderen Worten: Er macht Journalismus.
Doch das scheint „Übermedien“ nicht zu reichen. Es schwingt bei der Niggemeierschen Kritik am Spiegel die unterschwellige Forderung mit, Medien dürften solchen Leuten keine „Bühne bieten“, und falls doch, müssten sie bei jedem zitierten Satz erklären, wie gefährlich diese Person ist. Doch mit Kritik hat der Spiegel nicht gespart, stattdessen hat er ein realistisches Bild eines gefährlichen Mannes gezeichnet, über das sich Hildmann alles andere als freuen dürfte. Und: Totschweigen kann man Wirrköpfe wie Hildmann ohnehin nicht. Die Bühne, die ihm der Spiegel angeblich bot, hat er nämlich schon längst. Die 67.000 Abonnenten seines Telegram-Kanals kann er rund um die Uhr mit seinen gefährlichen Thesen impfen. Gut, dass es Journalisten gibt, die Hildmann mit seinem Größenwahn, seiner Widersprüchlichkeit und Demokratiefeindlichkeit konfrontieren.
Von: Nicolai Franz