Papst Benedikt XVI. habe, so Spaemann, auf seiner Deutschlandreise gezeigt, dass er nicht originell sein, sondern das Evangelium ernst genommen haben wolle. "In Sachen des Glaubens ist das Originelle sowieso immer problematisch", fügt er hinzu. Manche Aussagen des Papstes seien vielleicht durchaus "weltfremd". Zugleich schränkt Spaemann ein: "Lesen Sie doch mal die Bergpredigt und schauen, ob das nicht weltfremd ist. Jesus hat doch nicht ständig gedacht, wie weit komme ich damit durch, wer wird das annehmen. Als die Leute weglaufen, da beruft er nicht die Apostel zu einer Konferenz und sagt, was haben wir falsch gemacht, wie müssen wir unsere Predigt verbessern? Sondern er sagt nur: Wollt ihr auch gehen?"
Im Bundestag habe der Papst gesagt, was ein Papst sagen muss. Es sei ein Irrtum anzunehmen, der Papst wolle ein "katholisches Naturrecht" wieder beleben. Demnach gibt es das Rechte und Falsche einfach und lässt sich mit der Vernunft erkennen. Das Naturrecht sei keinesfalls katholisches Sondergut, sondern gehe schon auf Aristoteles und die römischen Juristen des ersten und zweiten Jahrhunderts zurück. "Für die zählten nur Vernunftargumente", betont Spaemann. Der Rechtspositivismus dagegen gehe davon aus, dass die Unterscheidung von richtig und falsch nur Menschenwerk sei. "Wenn die Menschen im Wohlstand leben, dann werden sie Rechtspositivisten. Erst wenn ich selber gefoltert werde, dann interessiert mich doch nicht, ob das jetzt gesetzlich erlaubt ist oder nicht, dann weiß ich nur, es ist ein Unrecht, was da geschieht."
Gemeinsames Abendmahl nur bei gemeinsamen Überzeugungen
Spaemann unterstütze den Papst in seiner Haltung, das Abendmahl nicht mit Protestanten zu feiern: "Wer das Abendmahl gemeinsam feiert, muss die gleiche Überzeugung haben, was das Abendmahl ist." Jesus selbst habe um Einheit im Abendmahlssaal gebeten. Wie könne der Papst also etwas verordnen, worum Jesus noch bitten musste? Der Papst sei gebunden an das Evangelium und dessen Auslegung in der Tradition sowie durch die Dogmen der Kirche, die er nicht verändern könne. Alle Menschen dürften mehr als das Oberhaupt der katholischen Kirche.
Im Blick auf die Ökumene habe der Papst stattdessen darüber gesprochen, was Christen aller Konfessionen gemeinsam tun könnten. Spaemann kritisierte die evangelische Kirche aber dafür, dass sie in den letzten Jahren immer wieder aus dem christlichen Konsens aussteige, um einen Konsens mit der nicht-christlichen Gesellschaft zu suchen. Er denke dabei vor allem an bioethische Fragen: "Ich wüsste nicht, worin eine theologische Begründung zur Selektion menschlichen Lebens bestehen soll", sagt der Philosoph im Hinblick auf die PID.
Die Rede des Papstes in Freiburg empfindet Spaemann als "epochal", da der Papst den Kern des Problems der katholischen Kirche als spirituelles Problem benannt habe. Der Pontifex hatte in dieser Rede die Jugendlichen dazu aufgerufen, sich wie das Wachs der Kerze für das Licht Gottes verzehren zu lassen. Ob das noch jugendfrei sei? "Na ja, ist das Neue Testament jugendfrei?", fragt Spaemann zurück. Da sei auch von Hölle die Rede und Jugendliche wollten bekanntlich das, was nicht ganz jugendfrei ist. (pro)